Ich habe mich verliebt. Das ist bemerkenswert, es passiert nämlich so selten, wie in der Sahara Regen fällt. Für einmal ist die Auserwählte, der ich Schwerenöter verfallen bin, auch nicht die Frau eines anderen. Obwohl – frei ist auch sie nicht. Genaugenommen ist sie sogar sehr besetzt. Nicht nur einmal. Ich schätze, von etwas über einer Million Italienern, die sie alle auch lieben. In unterschiedlichen Intensitäten, natürlich.
Ja, es ist eine Stadt, der meine neue Liebe gilt. Palermo. Nur schon der Name vergeht auf der Zunge wie die Gelati, die an jeder Strassenecke feilgeboten werden. In buttrige, quer aufgeschnittene Brioches gestrichen, was die Glace auch nicht gerade leichter macht. Dafür spendet sie Trost in vielen Lebenslagen. Und Trost in jeglicher Ausführung, der hier lange Zeit bitter nötig war. Die Cosa Nostra, der sizilianische Zweig der Mafia, drückte der Küstenstadt mit ihren Repressalien über Jahrzehnte fast die Luft zum Leben ab. Angst, Terror und Hoffnung hielten das Geschäfts- und Gemeinschaftsleben in einem unwürdigen Gleichgewicht. Doch von all dem ist nichts mehr zu spüren. Sicher, verschwunden ist die Mafia nicht. Doch das Einfordern des pizzo, wie das Schutzgeld hier genannt wird, ist nicht mehr zeitgemäss, die modernen Mafiosi stecken das mit Drogenhandel und Krypto-Kriminalität verdiente Geld in legale Unternehmen wie den Tourismus, den Weinbau, in Banken und Hotels.
Der Wandel der Stadt ist augenfällig. Verfielen die engen, verwinkelten Gassen des Centro Storico vor zehn Jahren noch in trügerische Ruhe, kaum war es dunkel, brodelt dann heute das Leben. Die Menschen feiern in den Strassen, Musik dröhnt aus den Bars, man parliert, flirtet, trinkt, als wär jeder Tag der letzte. An jeder Ecke eröffnen neue Bars, Ristoranti und trendige Stores.
Gut erinnere ich mich an eine angekündigte Food-Messe in Palermo, vom mehr als 20 Jahren. Ich war eingeladen von der sizilianischen Handleskammer. Rossana sass händeringend an ihrem Tischchen, Haare und Augen schwarz wie die Nacht. Angetroffen hatte ich sie in einem öden Messegebäude am Rande von Mondello, dem Strandrevier von Palermo. Wobei, Messe war die Übertreibung des Jahrzentes. Versprochen waren Dutzende von artisanalen Produzenten, gekommen war keiner. Ausser eben Rossana, sie ereiferte sich gerade in nicht druckreifen Worten über das Arbeitsverständnis ihrer Landsleute. Dabei wollte sie nur ihren Cousin mit ihren Englischkenntnissen unterstützen. Auch der tauchte nicht auf, und seine Tomatensugis auch nicht. Es war ein Desaster. Zumindest für mein Food-Scouting. Aber ich verliess die Stadt damals nicht mit leeren Händen. Ich fragte die schöne Rossana nach ihrer Lieblings-Trattoria, sie führte mich hin, wir wurden für einige Jahre ein Paar. Liebe geht eben doch durch den Magen!
Am meisten überraschte mich die Entwicklung der Gastronomie. In unzähligen Weinbars lässt sich die ungeheure Vielfalt der sizilianischen Weinwelt entdecken, die Naturwein-Szene scheint mir etablierter noch als in Zürich zu sein. Kaum verwunderlich, bei den klimatischen Bedingungen auf der Insel: Ist der Rebbauer mit ununterbrochenem Sonnenschein von April bis Ende September gesegnet, verzichtet er gerne auf chemische Keulen.
Was mich vor allem begeistert: Die jungen Köche in den unzähligen neuen Restau- rants, sie kochen wohl frischer, leichter, nehmen auch mal neuere Koch- und Anrichtetechniken in Anspruch, doch an den Zutaten hat sich rein gar nichts geändert. Die Globalisierung auf den Speisekarten sucht man hier glücklicherweise vergeblich. Alles ist regional. Die Palermitaner wollen keine gelierten Schäume von übergrossen Tellern blasen, um darunter drei Spaghetti zu suchen. Die Pasta ist immer noch handgemacht, die roten Gamberi müssen aus Mazzara del Vallo stammen, die Auberginen sind sonnen- nicht glashausgereift. «Die Menschen hier haben zu lange auf Qualität in allen Lebenslagen verzichten müssen, darum wird alles hochgeschätzt, was erschwinglich und gut ist», erzählt mir Manfredi Barbera, mein Olivenöl-Lieferant seit zwanzig Jahren. Wir brausen auf seinem gommone, einem stattlichen Gummiboot, angetrieben von einem Monster von Motor, der auch einen Öltanker vorwärtsschieben würde, zur Isola delle Femmine, einer steinigen Insel vor Palermo. Dort tauchen wir nach Seeigeln, sie werden unsere Pasta adeln. Barbera ist zufrieden: «Die Köche hier wollten früher immer nur mein günstiges Öl, zum Kochen und zum auf die Tischestellen. Heute verlangen sie beste Qualität und bringen dem Gast auf Verlangen eine Flasche, die nicht stundenlang an der Sonne stand.»
Bevor wir uns über die Pasta ai Ricci hermachen, zeigt mir Manfredi sein Lieblingsgericht. Dazu zermanscht er vier Knoblauchzehen und eine Handvoll frische Minzblätter in zwei Deziliter Olivenöl.
Grosse, zwei bis drei Zentimeter dicke Scheiben von runden, hellvioletten Auberginen lässt er im heissen Ofen gar und zart werden, löchert sie dann resolut mit der Gabel und lässt das vorher aromatisierte Öl darüberlaufen. Danach grosszügig Bottarga, den getrockneten, sizilianischen Thunfischrogen, darüber reiben und mit gehackten Minzblättern bestreuen. Mehr köstliches Sizilien geht nicht.
Auch Signora Capuzzo, energische Chefin über Familie, Firma und Bankkonto einer kleinen Lebensmittel-Manufaktur in der Hügellandschaft der Madonie-Hochebene, dem Herzen Siziliens, spürt den neuen Lifestyle-Wind der kommenden Generationen. «Uns besuchen immer mehr Leute aus der Stadt, sie wollen wissen, woher die Produkte kommen, wie sie verarbeitet werden», erzählt mir Capuzzo. Ihre Sugi und ihr Estratto sind Weltklasse. Sie hält mir eine kleine, ovale Tomate unter die Nase. «Das ist der Pomodoro Siccagno, den gibt es nur noch hier. Riech mal!» Sie zerdrückt sie, der Saft spritzt über mein weisses T-Shirt. Tatsächlich, ein Duft, so tomatig wie nie zuvor gerochen.
Nur ungern verliess ich ihre Familie wieder. Diese sympathische Mischung aus uraltem Handwerk und liebevoller Gastfreundschaft. Einfaches Essen geniessen, das nur glücklich macht. Der Nonna der Signora zuschauen, wie sie Pasta schneidet und Gemüse rüstet. Und mich mit einem Lächeln ansieht, das sagt: «Deine Suche endet hier. Du bist angekommen. Iss, mein Sohn. Hier schmeckt es gut. Vergiss aromatisierte Schäume und Pizza in Kartons, vergiss alle anderen kulinarischen Sünden. Hiermit wird dir vergeben. Du brauchst dazu auch nicht in die Kirche zu gehen, es reicht, wenn du an unserem Tisch isst.»
Märkte
Mercato Ballaro
Der älteste, vor allem Gemüse und Früchte, auch Fleisch und Fisch.
Mercato del Capo
Der schönste der drei Märkte in Palermo. Berühmt vor allem für frischen Fisch, aber auch für Gemüse und Früchte.
Mercato San Lorenzo
Der kleine Bruder von Eataly. Free Flow Restaurant, Cafe Bar, viele Frischprodukte, eine Weinhandlung, grosse Auswahl an Olivenölen und weiteren Spezialitäten aus Sizilien.
http://www.sanlorenzomercato.it/
Winebars/Restaurants
Le Cattive
Weinbar, ein Projekt des Weinguts Tasca d’Almerita.
https://lecattive.it/
Buatta
Traditionelle Küche in modernem Ambiente.
http://www.buattapalermo.it/en/
Dispensa
Hochstehende, moderne sizilianische Küche. Più di una dispensa. Più di un ristorante. Più di una cantina. Più di un negozio. Dispensa è di più. Konzept von Starchef Giuseppe Costa.
Via Isidora di Lumia 30
Trattoria Corona
Hochstehende Fischküche.
http://www.coronatrattoria.it/
In Vino veritas
Weinbar in einem vornehmen Wohnquartier mit kleinem, aber grandiosem Foodangebot, das täglich wechselt, je nachdem, was der Koch angeliefert bekommt. Riesige Auswahl an sizilianischen Weinen, viele auch glasweise.
http://vinoveritasenoteche.it
Maison Bocum
Traditionelle Gerichte, aber neu und frisch interpretiert. Tolle Weinauswahl. Bestes Cuscus al Mare.
http://bocum.it
Gagini
Gehört zur selben Gruppe wie Buatta, Bocum und Aja mola. Junge Köche, die mit traditionellen besten Zutaten arbeiten und diese neu interpretieren.
http://gaginirestaurant.com
Aja mola
Trattoria di Mare. Frischester Fisch, immer auch crudo (rohes Seafood). Perfekt für Lunch. Grosse Auswahl an sehr spannenden Naturweinen aus Sizilien.
http://ajamolapalermo.it
Trattoria Ferro di Cavallo
Einfaches Lokal, stadtbekannt, eine Institution. Reservieren geht nicht, man muss warten. Aber es lohnt sich. Alle Klassiker der sizilianischen Küche, es ist laut und eng, man wartet, isst und geht wieder.
https://www.ferrodicavallopalermo.it/it/
Bisso
Ehemalige Buchhandlung, heute ein hippes Bistro, das sich aber auf Klassiker der sizilianischen Küche konzentriert. Ideal für Lunch.
http://bissobistrot.it
Trattoria Temptation
In einem Vorort von Palermo, in Sferracavallo. Pasta und Fisch, wie man sie liebt. Ein burschikoser Wirt, der einem nach dem Essen ungefragt die Rechnung hinknallt. Kaffee gibts keinen, die nächsten Gäste warten schon.
Trattoria Temptation Sferracavallo – 94, via Torretta
Und hier noch einige Empfehungen meines Freundes und stadtbekannten Olivenöl-Papstes Manfredi Barbera:
Palermo:
Ristorante Le Angeliche
Ristorante Sesto Canto
Ristorante Trizzano
Mondello:
Ristorante Bye Bye Blues
Trattoria da Pero