Pakete auspacken, in die Front-Kamera sprechen, Avocado-Toast fotografieren und nach Gratisprodukten betteln: Richard Kägi über das zeitgenössische Lebensmodell des Influencers.
Ach, so schön, gibt es Euch. Das Leben ohne Euch wäre langweilig wie Kaminfeuer in Full HD rund um die Uhr, nicht bloss nach Sendeschluss. Pausenlos lasse ich mich aus dem Unglück des Nichtwissens und der Ereignislosigkeit reissen, mit Eurer gütigen Hilfe. Danke. Wie Ihr Influencer das nur schafft, mühe- und kritiklos in Begeisterung auszubrechen, für alle die tollen Produkte und Services dieser Welt. Ihr müsst pausenlos auf Ritalin sein, natürlich veganes. Klar, darüber dürft Ihr kein Wort verlieren, die Droge gibt es ja (noch) nicht beim Grossverteiler.
Voller Bewunderung staune ich über Euren sortimentsumspannenden Enthusiasmus. Über einen Grill, ist er noch so am Zweck vorbei konstruiert. Über Lippenstifte in den schrecklichsten Farben, über den hausgemachten Sugo. Wobei, ist nicht sogar ein Maggi Würfel in irgendeinem Haus gemacht..? Nun, das tut Eurer Freude über die Produkte des Auftraggebers keinen Abbruch. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing – hätte ich diese Weisheit doch bloss auch mehr intus! Längst nicht alles findet nämlich Gefallen bei mir, was mein Arbeitgeber auf allen seinen Stockwerken feil bietet. Die Dispute darüber mit Vorgesetzten und Kollegen sind legendär und gäben Stoff für zehn dieser Kolumnen, mein Credo seit jeher: Kein Unternehmen möchte Mitarbeiter, die zu allem nicken. Sicher, diese Denkweise füllt das Fundament meiner Glaubwürdigkeit mit härterem Zement, der eigene Geschmack und Stil steht über der hohlen Hand.
Und trotzdem beneide ich Euch. Um Euer Glück. Ihr strahlt, schreit und kichert. In den Restaurants, die Euch einladen; in die Selfie-Filmchen, die Ihr ohne Unterlass in die virtuelle Welt setzt; Ihr habt, so scheint es, das Glück gepachtet. Ob neuer Smoothie, Broccolini, Müesli-Riegel, Nagellack, Bügeleisen oder Yogahose. Die Welt soll teilhaben daran, wie Ihr es ausprobiert. Ganz egal, ob Ihr dabei über einen bad hair day jammernd auf der Toilette steht oder Acai-Mus mampfend in Eurer Küche. Und ich dachte immer, man müsse Experte sein, um anderen Menschen sagen zu können, was gut ist.
Sogar auf Englisch wird gejubelt, und sich dabei selber gefilmt, wie die Pakete der bekannten und weniger bekannten Händler geöffnet werden, die der Postbote täglich anschleppt. Hey, jeden Tag Weihnachten! Ab und an, poste selbst ich mal was auf Englisch, für meine Freunde ausserhalb des deutschen Sprachraumes. Aber nur noch? Und als Video? Nehmt Ihr vielleicht liebevoll Rücksicht auf die Insassen der philippinischen Altersheime, deren Followeradressen ihr gekauft habt, um Euren Marktwert zu steigern? Dann wäre Spanisch die bessere Wahl. Auch dann bestellen die Rentner dort kein Schweizer Granola. Denkt besser an die potentiellen Kunden Eurer Auftraggeber, die leben nämlich vorwiegend hier. Sicher ist, das Erreichen von zehntausend Followern, für Instagramer, die niemand kennt, ist schon ein Ding der Unmöglichkeit. Steigt das Level massiv darüber, ohne dass di Caprio oder Kardashian im Pass steht, geht’s sowieso nicht mehr mit rechten Dingen zu. Wieso auch, 10‘000 Adressen kosten 70$. Da ist die Versuchung gross, der eigenen Bekanntheit pekuniär etwas nachzuhelfen. Blonde Haare, Photoshop-gepimpte Bilder von Frühstückstellern mit aufgeschnittenen Avocados, ein paar Heidelbeeren und Granola – gerne alles auch neben die Teller auf den Tisch gebröselt – reichen nämlich nicht aus, um ernst genommen zu werden. Weder im richtigen Leben, noch in der virtuellen Welt. Zum Kochen können schon gar nicht. Aber darum geht es Euch ja auch nicht. Hauptsache ein paar Franken, Spass, und dass Ihr uns daran teilhaben lässt. Doch geht es nach der berühmten Trendforscherin Li Edelkoort, ist die Party bald zu Ende. Sie sieht den Einfluss der BloggerInnen schon jetzt als verzichtbar an und in Kürze ganz verschwunden. Wir greifen Frau Edelkoort vor und beantworten Eure zahlreichen Anfragen nach Gratis-Produkte zum Influencen negativ. Auch diejenigen auf Englisch. Die erst recht.