Richard Kägi

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NZZ am Sonntag, Mai 2017

Über das Altern

Es gibt junges, frisches Gemüse. Das will sofort verspeist werden. Manchmal wird Gemüse aber eingemacht. Dann wird der Faktor Zeit zu einem wichtigen. Genauso verhält es sich beim Wein oder beim Käse.

Beim Menschen ist es ähnlich. Nach Drang- und Sturmjahren zeigt Reife erste Wirkungen, Gelassenheit und Erfahrung hält Einzug, Interessen und Begehrlichkeiten wandeln sich. Haare gehen, Falten kommen. Das fiel mir vor allem bei anderen auf. Bis besagtem Moment, der mich fast in eine Depression stürzte: Da spaziert man in den Strandferien durch das abendliche Getümmel am Lido, ein bildhübsches Fräulein kommt mit verführerischem Augenaufschlag auf mich zu, in der ausgestreckten Hand Flyers für den angesagten Klub im Ort. Ich, der das Lächeln erwidert und bereit ist, das bildhübsche Fräulein niederzuflirten. Doch oh weh, Fräulein samt Augenaufschlag ziehen an mir vorbei, glücklicher Empfänger von beidem ist der Kerl hinter mir. Er ist halb so alt wie ich und hat mehr Haare. Genauer gesagt, er hat Haare.

Doch zurück zum ehrwürdigen Altern. Und zwar von Käse, dem Sbrinz. Der Schweizer Nationalkäse schlechthin. Er kommt daher wie die Urschweizer um die Gegend der Waldstätten. Aussen hart und unnachgiebig mit edlem Innenleben, das erobert werden muss. „Die Rinde darf nicht zu massiv anwachsen“ verrät mir Meister-Affineur Pius Oggier aus dem luzernischen Willisau. In seinem Keller reifen Sbrinz zu methusalemischem Alter heran. Drei, fünf, achtjährige, ja gar bis zu elf Jahre lang gepflegte Laibe warten auf kräftige Arme. Die tonnenförmigen Urväter des Parmesan sind die Käse gewordenen Feindbilder zarter Damenhände hinter den Frischetheken im Delikatessengeschäft. Schneiden ist unmöglich, die Laibe müssen mit schwerem Gerät gespalten werden. Doch die Mühe lohnt sich. So wie Käsermeister Oggiers unendlich lange Arbeit im Reifekeller. Im zarten Alter von zwölf bis vierzehn Monaten entscheidet der Meister anhand der Reinheit des Geschmacks, welche Laibe wie lange reifen müssen. Vorher schon hat die AOC-Expertenkommission jeden Sbrinz nach elf Monaten auf seine ‚Würdigkeit‘ – und damit Aufnahme in ihren ehrwürdigen Verein – geprüft. Die Käse werden über Jahre regelmässig mit einer aromatischen Essenz (Geheim!) eingerieben. Ziel ist die ausgeklügelte „Würze“ des Käses. Sie geht mit der höchstmöglichen Reduktion der Eiweissaromastoffe einher. Tönt kompliziert, ist es auch. Die Ergebnisse von Oggiers Käse-Alchemie sind hingegen schlicht grandios. Der Sbrinz-Liebhaber stösst auf eine rahmig-rezente Aromafülle, die seinesgleichen sucht. Die gebrochene Oberfläche erinnert an eine sattgelbe Mondlandschaft mit elfenbeinfarbenen Sprenkeln. Das sind jene berühmten Kalziumkristalle, die im Mund so köstlich-salzig knirschen. Im Geschmack ein Anflug von Heu vom letzten Sommer, aber auch von Blumenwiesen und Kräuterduft. Leichte Röstaromen lockern die rezent-fettige Struktur etwas auf, fast süssliche Noten erinnern an Karamell und Doppelrahm. Ein Monument von Käse, wird er in kleinen Brocken serviert, einfach so, oder als grobe Brösel in den fast fertigen Risotto gerührt. Der Wein zum Sbrinz kann weiss wie rot sein. Aber bitte keine Leichtgewichte. Besonders gut dazu schmeckte mir ein Maienfelder Pinot Blanc/Chardonnay von Gian-Battista von Tscharner, der Bollinger R.D. sowie ein 88er Chateau Rayas aus dem Rhonetal. Reif, reich, in Würde gealtert. Und dabei immer besser geworden.

©2023 Richard Kägi