Kürzlich rief mich der Boss einer Kommunikationsagentur an. Ich sei auf dem Radar eines italienischen Pasta-Produzenten aufgetaucht, sie würden mich gerne zu einer Zusammenarbeit bewegen. Ich sagte, klar, easy, solange es ein artisanaler, handwerklicher Betrieb ist. Denn nur solche Pasta kommt mir in den Topf und nur dafür stehe ich hin. Natürlich war es das nicht. Denn die Summe, mit der sie mich ,überzeugen’ wollten, kann keine kleine Familienfirma für PR aufwerfen. Glücklicherweise muss ich nicht von solchen Kooperationen leben, und so war es keine Frage, das schon fast unmoralische Angebot schnöde abzulehnen.
Es ging um eine Revolution des Produktions-Prozesses im besagten Pastakonzern. Nach 150 Jahren maximal industrieller Fertigung entschied der Padrone, auch eine Pasta trafilata al bronzo auf den Markt zu bringen. Gemeint ist dabei der wichtigste Herstellungsschritt von getrockneten Teigwaren. Nun, besser spät als nie, caro Direttore B. Dabei wird der noch weiche Teig durch mit Bronze beschichtete Düsen gepresst. Und eben nicht durch solche aus Teflon, wie in der Fliessband-Produktion der grossen Hersteller. Geschmack und Konsistenz profitieren enorm durch trafilata al Bronzo. Die Wärmeleitfähigkeit dieser Metalllegierung ist viel träger als die von Teflon und besitzt auch nicht dessen extrem glatte Oberfläche. Dadurch erwärmt sich der Teig viel weniger, behält wichtige, hitzempfindliche Spurenelemente und eine schönere Farbe. Und das Wichtigste: Die Pasta-Oberfläche wird leicht aufgerauht, beim Pressen durch die Bronzeformen. Eine Eigenschaft, die erst ermöglicht, dass der Sugo sich homogen und dauerhaft an die Pasta schmiegt. Und dort auch bleibt, beim Geniessen.
Der gewichtige Nachteil dieser Fertigung – die Geschwindigkeit – ist für artisanale, kleinere Produzenten keiner. Der Teig muss durch bronzene Formen viel langsamer geführt werden als durch solche aus Teflon. Da gewinnt die Industrie einige Minuten, ein nicht zu unterschätzender, ökonomischer Vorteil. Insbesondere dann, wenn der komplette Prozess nicht mehr als drei Stunden dauert. Vom Abladen des Mehls an einem Ende der gigantischen Fabrik, bis zum Beladen der Lastwagen mit der fertigen Pasta, am anderen Ende des Gebäudes. Selbstredend, dass der Pasta da nicht bei tiefen Temperaturen schonend über Tage wertvolle Trocknungszeit angedeiht wird. So wie es bei handwerklicher Produktion der Fall ist. Dort werden die entscheidenden Vorteile der trafilata al bronzo durch langsame Trocknung bei 45° Celsius, in kleinen Chargen auf Gitterrosten ausgebreitet, noch multipliziert. Dass kann dann schon einmal 80 Stunden dauern und hat unweigerlich Einfluss auf den Geschmack und die taktile Fähigkeit der Pasta, sich auf das köstlichste mit der Sauce zu verbinden.
Gerne erinnere ich mich an einen Besuch in einer der feinsten Pasta-Werkstätten in Italien.
„Riiiitschaaaard!!“ Die Gebrüder Setaro überschlagen sich fast vor Begeisterung über meinen Besuch in ihrer Firma. Wenn Italiener auch nur ein bisschen Englisch können, sprechen sie auf Biegen und Brechen Englisch mit mir. Dabei wäre es mir lieber, sie blieben bei ihrer Muttersprache. Wie sonst soll mein Italienisch jemals salonfähig werden? Davon abgesehen hört sich Riccardo am Fusse des Vesuvs einfach besser an. Von Neapel fuhr ich südwärts, kurz vor Pompeji schmiegt sich das Städtchen Torre Annunziata um eine Bucht. Die Strände schimmern, als würden sie von unten beleuchtet, und davor weitet sich das Meer in einem Geflirr von Farben, alles ist einladend und wohltuend. Und so ist es auch bei den Setaros. Die Stadt gilt als Wiege der Hartweizenpasta-Tradition Italiens. Dutzende von artisanalen Betrieben überlebten Mafia- und Barilla-Offensiven und verschiffen ihre Pasta in die ganze (Gourmet)-Welt. Der Erfolg der Nudeln von hier baut auf jahrhundertelangem Pröbeln und erstklassigen Zutaten auf. Vincenzo Setaro, einer der beiden Patroni der Familienfirma, lässt denn auch keine Zweifel über seine Qualität offen. „Nur weisse Pasta ist die Richtige. Und da sind wir bald die Einzigen!“ Pasta also, deren Teig durch alte Zieheisen aus Bronze gedrückt wird und ein wenig Mehl braucht, um nicht zu kleben. Gelbe Pasta ist gelb, weil sie durch eine Teflon-Form gepresst wurde. Setaro wäre kein Napoletano, würde er nicht über die Geschäfte klagen. Obwohl der Trend klar aufwärts geht. Nachdem sich die Massen an billiger Fabrikpasta satt gegessen haben, erinnert sich doch der eine oder die andere daran, dass Pasta früher anders geschmeckt hat. Besser irgendwie. Und wer dann Pasta Setaro einmal zwischen die Zähne bekommen hat, wird sehr ungern zur hinlänglich bekannten Fabrikware zurückkehren. „Unsere Pasta wird bei ganz niedrigen Temperaturen getrocknet. Je nach Sorte dauert das zwischen 36 und 110 Stunden. Die Pasta hat dann nicht nur einen anderen Biss, sie enthält auch deutlich mehr Nährstoffe.“
Der Mitarbeiter an der mächtigen Pastamaschine, die ratternd Onde ausspuckt, eine wellenförmig gerippelte Pasta, an der sich der Sugo schön festsaugt, zieht an einer Zigarette. Sie ist praktisch abgebrannt, hat aber noch die ganze Asche dran. Wundersamerweise fällt trotz Maschinengerappel kein einziges Aschestäubchen in den darunterliegenden Pastabehälter. Daneben steht ein Teller mit Mehlrückständen und unzähligen Zigarettenkippen. „Bitte nicht fotografieren“, sagt Vincenzo, „wir haben schon genug Scherereien mit unsinningen EU-Gesetzen“. Ob er deren Kontrolleure mit Gratis-Pasta milde stimmt, wage ich nicht zu fragen. „Solltest du jemals Asche in unserer Pasta finden, schenk ich dir eine tägliche Ration bis an dein Lebensende“! Den Deal gehe ich gerne ein. Kommt doch bei mir jeden Tag Pasta auf den Tisch.
Die Pasta-Manufaktur Setaro empfängt übrigens auch private Besucher. Melden sie sich bei mir, sollten Sie die Gegend besuchen.
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