Sie geben alles. Zumeist (gezwungenermassen) arbeitslos in ihrem Stammjob, überbieten sich Köche zurzeit in einer – für viele – neuen Disziplin: Take away food. Sie rüsten, dämpfen, schmoren und vor allem sous-viden ihre Menüs, ganz egal, für welche Spezialitäten ihre Beizen stehen. Was nicht gleich verzehrt werden kann, muss zuhause regeneriert, aufgewärmt werden. Das Resultat: Ähnlich dem Flugzeug-Essen. Was ich von dem halte (nämlich nichts), tat ich zum Missfallen der Airline-Caterer des Öfteren kund. Von matschigem Brei bis akzeptabel knackiger Qualität erreichen uns in Plastik eingeschweisste Speisen, meistens zu fade abgeschmeckt. Die Köche erwarten neben dem selber aufwärmen wohl auch das ganz persönliche Nachwürzen. Dabei ist gerade das doch der wichtigste Job des Schürzenmannes. Zudem fehlt in den allermeisten Privatküchen das professionelle Equipment für eine einigermassen schonende Regeneration.
Nun, ich probiere immer wieder. Die Menüs ähneln sich, denn längst ist nicht alles geeignet, um zuhause wieder erhitzt zu werden. Selbst die Urform des bring-heim-Essens, die Pizza, macht nur wirklich Freude in den Sekunden, nachdem sie den Holzofen verlassen hat. Dieser magische Moment ist qualitätsweise Lichtjahre entfernt von jenem 15 Minuten später, wenn der unterbezahlte und darum übelgelaunte Foodkurier, die schon durchgefeuchtete Schachtel mit dem nunmehr schlappen Teigfladen ungeduldig vor die Türe knallt. Dabei muss nur eine einfache Regel befolgt werden. Je mehr Schmorzeit ein Gericht zur Vollendung benötigt, desto besser eignet es sich zum Wiederaufwärmen. Und wird sogar noch schmackhafter dabei.
Doch an einem Klassiker verbrennen sich selbst die mutigsten Home-Delivery-Köche weder Finger noch Ruf. Dem panierten Schnitzel. Es mutiert innert kürzester Dauer vom kulinarischen Paulus zum Saulus. Sekunden nach dem Tauchbad im heissen Fett knuspern die goldenen Brösel schwebend auf kleinen Luftkissen über der plattgeklopften Fleischscheibe. Um Minuten später wie ein feuchter, fettiger, alter Lappen am erkaltenden Schnitzel zu kleben. Dessen Erfindung fälschlicherweise und hartnäckig unseren österreichischen Freunden aus Wien untergejubelt wird. Einerseits wurde die Panier als Restenverwertung aus altem trockenem Brot und den daraus gemahlenen Bröseln, schon in vorchristlicher Zeit mit anderen Speisen gebunden. Viel später, im 15. Jahrhundert, liess der lombardische Adel viele seiner Gerichte von ihren Köchen mit Blattgold überziehen. Nicht nur aus dekadenter Angeberei. Gelehrte schanzten damals dem Gold eine heilende Wirkung auf allerlei Herzens-Zipperlein zu. Der Rat von Venedig verbot schließlich die sinnlose Vergolderei von Speisen. Die Köche, ihrem Glanz beraubt, fanden als geeigneten Ersatz dafür die goldene Panier.
Wer hat es nun erfunden, das panierte Schnitzel? Mir eigentlich egal. Offenbar haben auch die Mauren schon auf Teufel komm raus ihr Fleisch mit altem Brot paniert. Die Wiener Mehl-Fetischisten mischten dieses in die Panier und ersetzten die damals geläufigen Weissbrotbrösel mit braunen, knusprigen Semmelbröseln. Diese Kombination eroberte die Küchen dieser Welt im Sturm, mittlerweile auch die Verwendung von einem Fleischstück aus der Kalbsnuss.
Nur die Norditaliener widersetzten sich der kolonialistischen Schnitzel-Ausbreitung der Wiener. Und zu Recht. Obwohl das Costoletta Milanese auf Italiens Menükarten am Aussterben ist wie das nördliche Breitmaul-Nashorn, lässt es, perfekt zubereitet, ein Wiener Schnitzel geschmacklich und optisch im Regen stehen. Wie gerne denke ich an meine Costoletta-Erleuchtung zurück! Es war bei Chicco Cerea, dem Koch des Da Vittorio, ausserhalb Bergamo. Üblicherweise meide ich in Italien Michelin-besternte Lokale wie der Teufel das Weihwasser, doch ich hatte immer wieder von diesem auch Elefantenohr genannten, legendären signature-dish dort gehört. Ich wurde nicht enttäuscht, es gehört seither in meine Liga von Gerichten, für die ich töten würde. Und da meine ich keine Kälber.
So gehts, für zwei gierige Münder: Ein doppeltes Kalbskotelett (idealerweise der Rasse Fassone Piemontese, mindestens 40 Tage gelagert, etwa 1.5 Kilo schwer) bis zum Knochen einschneiden. Wie wenn man daraus zwei Koteletts schneiden würde, aber auf der Höhe das Knochens nicht durchschneiden, sondern das Stück auseinanderklappen. Mit Backpapier bedecken und mit einem Fleischklopfer bearbeiten. Gottlose brauchen dazu einen Hammer, Gadget-Nerds wie ich lassen die Rückseite meiner schwedischen Karesuando-Jagdaxt, hartverchromt und mit Warzenbirkengriff, auf das Fleisch niedersausen. Die dosierte Gewalt soll das Kalb auf die Fläche eines grossen Tennisschlägers auseinandertreiben, maximal 5mm dünn. 5 Bio-Eier gut verrühren, in ein grosses Backblech geben und das Costoletta darin baden lassen. Danach in fein gemahlenen Grissini wenden, die Brösel mit beiden Händen fest andrücken. In der grössten Bratpfanne im Haushalt 500 Gramm geklärte Butter schmelzen und das Elefantenohr einige Minuten kräftig goldgelb braten, dabei ständig mit der heissen Butter übergiessen. Umdrehen, auch die andere Seite einige Minuten braten. Pfanne leicht schräg stellen, damit die Butter aus der hellbraun-goldigen, knusprigen Panade laufen kann. Salzen. In breite Streifen schneiden und mit einer Handvoll ofengeschmorten Dattel-Tomaten belegen. Essen, mit einem grossen Franciacorta runterspülen. Vor Glück in den Teller weinen oder einen Tisch im da Vittorio reservieren. Danach kann man getrost das Zeitliche segnen. Weil das Leben nichts besseres mehr zu bieten hat.