Wie unser Kolumnist seine Drogen, Pardon, kulinarischen Souvenirs, unbehelligt am Zoll vorbeibringt. Für misslungene Nachahmungen wird jegliche Haftung abgelehnt!
Der Zollbeamte hebt sein Riechorgan von beeindruckender Grösse witternd nach oben, seine Nasenflügel zittern fast unmerklich. Der Prosciutto di Mora Romagnolo, den ich Tranche für Tranche aus dem Metzger-Papier klaube, bleibt mir im Hals stecken. Es ist nicht seine Nase an sich, die mich fasziniert. Seitlich wächst eine grosse Warze, aus der schwarze Borsten von aussergewöhnlicher Präsenz wuchern. Dieses Bild steht mir immer noch – Jahre später – überdeutlich vor Augen. Denn im Gegensatz zur Schönheit, die man einmal zu Gesicht bekommt, und dann nie wieder, ist der Ekel von grosser Nachhaltigkeit.
Ich sitze im Cisalpino, wir brausen Richtung Schweizer Grenze. «Controllo di Dogana, Ware zu verzollen?» schreit der Warzenmann energisch. Meinen Blick auf den grossen Koffer über mir in der Ablage, zu werfen, das kann ich gerade noch verhindern. Nicht aber meine Gedanken. Während meine Liebste ihre Kreditkarte in der Via Monte Napoleone bei Vivienne Westwood und Hermès schmelzen liess, räumte ich dafür die Regale im Eataly Milano leer. Ich gehöre nicht zum Zeitalter der neuen Entsagung. Darum ist mein Gepäck nun randvoll mit salaminösen und anderen, schweinischen Schätzen, auch ein riesiger, ganzer Schinken, insgesamt sicher zwanzig Kilo. Ich musste eine zusätzliche Tasche erstehen, um meine Käufe zu verstauen. Sogar eine Jeans hatte nicht mehr Platz. Sie wich einem Bündel Strolghino aus Zibello, da gab es keine Sekunde zu überlegen. Was ist eine Hose gegen die edelste Trockenwurst der Welt? Eben. Aber ob diese – und mehr noch das vier Kilo schwere SUV unter den Steaks, ein Bistecca di Fassone di Manzo Piemontese – als erlaubte Wegzehrung für drei Stunden Zugfahrt durchgehen, ist zu bezweifeln. Der Metzger im Eataly hatte das gute Stück so blumig beschrieben, ich hätte auch seine filetierte Grossmutter einpacken lassen von ihm.
«Was führen Sie in dem grossen Koffer da oben mit? Hier riecht es doch nach Prosciutto?» Ich greife zu einer immer funktionierenden List. Die gekonnte Übertreibung, die keine ist. Denn, wer übertreibt, unterstreicht etwas, was sonst unbemerkt bleibt. Er kann das Übertriebene aber auch durch die Übertreibung zum Verschwinden bringen. «Ich kaufte etwas aufgeschnittenen Schinken für die Fahrt. Und im Koffer liegt ein halbes Schwein, verarbeitet zu den allerfeinsten Salumi, wollen Sie probieren?» Anstatt mitzuschmunzeln, über den vermeintlichen Scherz, fordert er mich streng auf, den Koffer aufzuschliessen.
Während ich noch überlege, den forschen Kerl zur Ablenkung in ein Gespräch über seine faszinierenden Warzenhaare zu verwickeln, rettet mein Schatz die Situation. «Hier meine Fashion-Jagdbeute»! Da sie die italienische Mehrwertsteuer zurückfordert, muss sie ihre edlen Teile verzollen. «Drei Schals und eine Tasche von Hermes, hier auch noch Stiefeletten, bitte, was macht das?» Überrascht von solch geballter und charmanter Kulanz, füllt er Dokumente aus. Danach trollt er sich zufrieden. Mein Herz rutscht zurück an seinen angestammten Platz. Es wäre das erste Mal gewesen, mit dem Trick aufzufliegen. Der funktionierte bisher immer zuverlässig.
An Flughäfen gilt es, andere Strategien auszurollen. Wird man angesprochen, gar zum Check rein gebeten, im ,nichts zu verzollen’-Durchgang, hat man schon verloren. Krampfhaft unschuldig und entspannt dreinschauen? Vergeblich. Da tropft einem das schlechte Gewissen erst recht aus dem Gesicht. Wer mimikerfahren ist, probiert den Jet-Lag-Trick. Selbst wenn man von Wien heimgeflogen ist, dermassen zerknittert und elendiglich müde dreinschauen, dass der Beamte a) die Ambulanz ruft oder b) Dir ein Mittelkasseauto-teures Hästens Bett schenken möchte.
Mehr Aufwand, aber auch mehr Erfolg, sich die kulinarischen Grosseinkäufen nicht konfiszieren zu lassen, verspricht folgendes: Ich wähle den ,zu verzollen’-Kanal, und deklariere scheinheilig 1 Paar gekaufte Jeans. Der Beamte erklärt den zollfreien Freibetrag und komplimentiert mich freundlich zum Ausgang.
Wer den Zöllnern nicht in die investigativen Augen schauen mag, stemmt seinen Koffer vom Band und stellt ihn diskret hinter eine Säule. Und meldet ihn beim Lost Baggage-Schalter als nicht angekommen, und geht heim. Der Koffer wird am nächsten Tag nach Hause geschickt. Unbehelligt. Ausser man hat statt 8 raren Magnumflaschen unpasteurisierten Ama-Sake (den sie mir garantiert weggenommen hätten), 8 Kilo Kokain darin verstaut. Das ist aber keine gute Idee, aus naheliegenden Gründen.
Mit dem Auto zurück aus Italien, der Kofferraum voll mit allem, was die Küche dort so unwiderstehlich macht? Da gilt es, den richtigen Übergang zu wählen. Und den richtigen Tag. Einmal erreichte ich nach wunderbarer Bergfahrt die Grenze am Passo Spluga, mit dem festen Vorsatz, meine kulinarische Beute mit den Zöllnern dort zu teilen. Es war Samstag, später Nachmittag. Und es war keiner mehr dort. Sie sassen schon bei Mama am Tisch. Seither spare ich mir die Kolonnen in Chiasso. Nicht nur darum.
Richard Kägi ist Fodscout und Autor. Es geht ihm nicht darum, Gebühren zu sparen oder Billigfleisch heimzubringen. Es wurden ihm in seiner langen Foodscout-Karriere schon zuviele Spezialitäten aus mitunter fadenscheinigen Gründen am Zoll konfisziert. Er weiss, sie landeten in der Zoll-Kantine. richardkaegi.ch