Doch weiter komm ich ohne ihr.
Meine Gedanken kreisen gerade um den unsäglichen, glücklicherweise hinter uns liegenden, Veganuary. Das Sprichworthätte ich einer guten Freundin, für die Mässigung ein Lebenskonzept ist, gerne sofort unter die Nase gerieben. Aber mit der hat sie sich gerade auf einer Autobahnausfahrt festgeklebt. Telefon annehmen ist da keine Option. Ich muss einen ihrer seltenen Gute-Laune-Momente erwischen. Denn wenn sie einmal nicht gegen alles, was Freude macht, ihr Leben riskiert, volle Weinfässer sprengt, Fassaden von Tabakläden besprayt, illegale Marihuana-Plantagen verpetzt oder Metzger entführt und wie Sklaven in Fesseln legt, und diese nur löst, um die stolzen Berufsleute unter Androhung einer Soja-Diät Milch abfüllen zu lassen. Im Akkord. Haselnussmilch. Doch, sonst ist sie sehr vernünftig, und ich unterhalte mich dann prächtig mit ihr. Wobei ich ja überhaupt nicht gegen fesseln bin. Im Gegenteil. Bloss in einem anderen Kontext.
Mässigung stünde auch den Grossverteilern gut an. Bei ihrem Marketinggeschrei. «Veganuary» wird schamlos als eigene Erfindung deklariert, um sich das nachhaltige, regionale und gesundheitsfördernde Mäntelchen umzulegen. Mit Ersatzprodukten, deren Inhaltstoffe oft in der ganzen Welt zusammengekauft werden und nur mittels artifizieller Zusatzstoffeüberhaupt zusammenhalten. Um wenigstens der Form nach an Wurst, Burger und Käse zu erinnern. Sie tragen Namen wie V-Love, Planted, Green mountain, Yolo oder Karma. Gleichzeitig wird der Konsument mit den unsäglichen Dauer-Rabattaktionen auf Billigfleisch (an Festtagen darfs auch mal ein Aktions-Filet sein) bei Karnivoren-Laune gehalten. Das Karma geht spätestens dann den Bach runter, bzw. den Abfallschacht, wenn tonnenweise nicht verkauftes Fleisch ebendiesen Weg auch nimmt.
Coop hat in seinem 27 Seiten starken Plant-Based-Food-Report eine neue Spezies ausgemacht, die Substitarier. Jung, weiblich, urban. Oder 50- bis 60-jährig. Da falle ich durch das Raster. Obwohl ich seit mehr als 40 Jahren Fleisch substituiere. Aber eben nicht mit Wurst, die keine ist. Sondern mit Pasta, Risotto, Gemüse. Die jungen, städtischen Substitarier-Damen kaufen dann so schreckliche Dinge wie den V-Simply Hirtengenuss. Eine ellenlange Zutatenliste verspricht Käse-Ähnliches. Ein veganer Hirte ist mir zwar noch keiner begegnet. Ausser er substituiert seine Schäflein durch einen Sojaacker und wird zum Bohnenhüter.
Mässigen sollten sich auch die Wirte. In ihrem Gejammer. Sie finden kein Personal mehr. Wie wäre es, Mitarbeiter für die harte Arbeit besser und fair bezahlen? Da folgt gleich der nächste Aufschrei: Die Rechnung geht dann nicht mehr auf! Ok, dann eben Preise erhöhen. Dann kommen die Gäste nicht mehr! Aha. Dann vielleicht besser kochen, mit hochwertigeren Zutaten? Und mehr noch, ein klares Konzept haben. Ich wünsche mir schon lange Restis und Köche, die nur anbieten, was sie richtig gut können. Hier gibt’s nur Gerichte aus Kartoffeln. Dort nur Risotto. Da um die Ecke nur Spare Ribs. Aber die weltbesten! Kein Stress mehr mit Menükarte neu aufsetzen und 1000 verschiedene Zutaten im Economat, für 100 Gerichte auf der Karte. Wer betreibt das erfolgreichste Gastro-Konzept der Welt? Eben.
Selbst sogenannte Themen-Lokale können es nicht lassen, noch artfremdes anzubieten. Das Steakhouse verkauft auch noch Seafood. Das Fondue-Stübli bietet auch noch Älpler Magronen und irgendeine Vegan-Bowl feil. Ist man den urbanen Substitariern doch schuldig.
Sag dem Thai-Strassenkoch, der in Bangkok an seinem Saturn V-Raketentreibwerk-Wok sitzt und sein ganzes Leben nichts anderes als Wasserspinat mit Krabben darin glühen lässt (so wie sein Vater und Grossvater vor ihm), er soll im Wok ein Raclette schmelzen lassen? Er wird grandios scheitern. So wie die Köche hier, die sich an asiatischem versuchen. In einem Land, in dem selbst Ethno-Restaurants ihre Authentizität verleugnen müssen – zu scharf für hiesige Esser, zu exotisch, originale Zutaten nicht beschaffbar etc. – ist kulinarisches Kunterbunt auf Menükarten ökonomischer Selbstmord.
Gerade kündigte sogar der heilige Gral des Fine-Dining, das berühmte Noma in Kopenhagen (mehrmals ausgezeichnet als bestes Resto der Welt), seine Schliessung an. Dem Chef gehen die Ideen aus.
Die Gastronomie muss sich neu erfinden. Vor allem muss sie die Kostenwahrheit auf die Gäste abwälzen. Den Mitarbeitern die unsägliche Schichtarbeit mit Zimmerstunde erlassen. Ich bin sicher, die allermeisten Serviceleute und KöchInnen würden lieber 4 x 10, 11 Stunden wöchentlich arbeiten, dafür täglich am Stück und dann drei Tage frei. Und warum nicht über Dynamic Pricing nachdenken? Gegen Ende Woche sind die meisten Lokale mehr als ausgebucht. Dann kostet es eben mehr, als an Montagen. Wenn andere an Wochenenden schon für uns schuften, sollte uns der Aufpreis wert sein, ist man zu faul (oder ungeschickt), selber am Herd zu stehen.
Vielleicht gehen wir zukünftig viel weniger oft auswärts essen, in viel weniger Beizen. Dafür richtig gut (und teuer) und werden richtig gut umsorgt, von glücklichen, gut bezahlten Mitarbeitern und Wirten.