Wieso rennt Richard Kägi? Es ist die Lust an der Bewegung, dieses Gefühl, immer fitter zu werden, die Vorfreude auf den Berg-Marathon. Und das (kulinarische und vinophile) Leben trotzdem geniessen zu können.
Der Rhythmus passt. Die Schritte, der Atem und der melodiös stampfende Rock von Kings of Leon, einer meiner Lieblingsbands. Sie bilden eine Einheit, verschmelzen zum Taktgeber des frühmorgendlichen Laufs durch den noch dämmerigen Wald, die Nacht kämpft noch um ihre Existenz, vergeblich, sie wird diesen Kampf verlieren, wie jeden Tag. Seit es diese kabellosen, kleinen Ohrhörer gibt – die vor allem auch schmerzfrei an ihrem Ort bleiben – begleitet mich Musik hin und wieder auch beim Laufen.
Bloss bringen mich die verschiedenen Rhythmen der Songs gerne aus dem Takt, bestimmen je nach Lied Atem und Schrittfrequenz, dann eben weg damit und den Gedanken mehr Raum geben. Laufen ist wie geschaffen dafür. Einmal mehr darüber sinnieren, was mich denn antreibt, vom wem ich davonlaufe, oder gar dem Unerreichbaren hinterher? Aus purer Lust? Eines davon war es immer, glücklicherweise nie aus allen Gründen gleichzeitig.
Dramen wegrennen
Unbestritten ist, der Sport hat mir Unsummen an Therapiekosten erspart. Die Psychiater-Gilde hat trotzdem keinen Grund, sich zu beklagen, ich hab diverses mit mir anstellen lassen, richtig erfolgreich war keiner der Seelendoktoren. Die grossen Dramen in meinem Leben, ich habe sie weggerannt oder weggeradelt.
Mit meinem gewalttätigen, verhassten Vater abzuschliessen, es war wohl die grösste Herausforderung. Er tat seinen letzten Atemzug in seinem Haus in Spanien, so unbemerkt, wie er auch durch sein Leben gegangen war. Vielleicht war dieses Verhalten auch der Grund, warum er mir meine Kindheit sprichwörtlich zerschlagen hatte. Man fand ihn – schon in Auflösung begriffen – erst etwa 2 Wochen nach seinem Hinscheiden, die Hitze hatte unschönes mit ihm angerichtet. Die Behörde rief mich nach Spanien, um Ordnung zu schaffen.
Das Aufräumen, es war hart. Dieser Geruch des Todes, an den sich meine empfindliche Foodscout-Nase selbst nach 35 Jahren immer mal wieder erinnert. Es war, als wollte mich Fred ein letztes Mal bestrafen. Ich nannte ihn nie Papa, weil er das nie für mich war.
Mit etwas abschliessen
Monate später trieben mich Unrast und trübe Gedanken noch einmal auf denselben Weg, von Winterthur nach Valencia. Auf dem Rennvelo. Die Route stellte ich mit Hilfe des Guide Michelin zusammen, der täglichen Schinderei sollte zumindest grossartige Küche, die besten Weine und komfortables Bettzeug folgen. Es war eine Lektion fürs Leben. Täglich 8 bis 10 Stunden auf dem Rad, über die französischen Alpen, den mörderischen Gegenwind im Rhonetal und durch das Languedoc im Gesicht, die rücksichtslosen Auto- und Lastwagenfahrer auf den dreispurigen Landstrassen, über vierzig Grad Hitze.
Auf einem winzigen Gepäckträger eine kleine Tasche mit dem Allernötigsten, im Kopf den Vater und sein Sterben. Ich stürzte einige Male, weil mich der Schlaf übermannte, glücklicherweise ohne ernsthafte Folgen. Bruckners sämtliche Symphonien im Ohr, fuhr ich mich täglich ins Delirium, nahm oft zu wenig Flüssigkeit auf, die Sonne brannte mir Muster in die Stirn, tiefe Furchen verbrannter Haut, wie Erdboden nach 4 Jahren ohne Regen. Nach zehn Tagen und 1700 Kilometer war ich am Ziel. Leer, ausgebrannt, doch mit Fred im Reinen. Er sollte mir nie mehr etwas antun können und genauso wenig meine Gedanken jemals wieder in Rache- und Vergeltungsbahnen zwingen.
Weitere, vielleicht nicht ganz so einschneidende, persönliche Dramen, löste ich auf ähnliche Weise. Und tue es noch immer, wenn es nötig ist.
Die Lust an der Bewegung
Die Trennung von geliebten Menschen, berufliche oder persönliche Tiefschläge und daraus folgende Neuorientierungen, immer waren es sportliche Parforce-Leistungen bis zur kompletten Erschöpfung, das Quälen des Körpers in einem manchmal auch ungesunden Ausmass, die mich aber seelisch auf den für mich richtigen Weg zurückbrachten.
Zurzeit laufe ich aber aus dem besten aller Gründe. Es ist die Lust an der Bewegung, dieses Gefühl, immer fitter zu werden, die Vorfreude auf diesen unglaublich schönen Berg-Marathon im Spätsommer. Und das (kulinarische und vinophile) Leben trotzdem in einem Masse zu geniessen, wie es meinem Beruf und meiner Leidenschaft geschuldet ist.
Aber da gehört auch den Schmerz spüren dazu, die Erschöpfung, in einer fast masochistischen Art und Weise. Und dazu kommen zurzeit Begegnungen in den Wäldern, so unerwartet wie überraschend, Menschen und Erlebnisse, die man dort jetzt nicht erwartet hätte.
So, und zum Schluss noch das:
Eine Rezeptidee für nach dem Training
Nach sechzig Minuten im Wald stärke ich mich am liebsten mit einer Pasta Carbonara, die Vorfreude darauf lässt mich oft unbemerkt die zweite Hälfte schneller laufen.
Bei Carbonara gibt es kein wenn und aber. Es gibt das eine Rezept, das originale. Bitte keinen Speck, Knoblauch, Zwiebeln, oder sonstige Todsünden. Und schütten sie das Pastawasser nicht weg, es ist der Schlüssel zum Gelingen!