Richard Kägi

  • Kägi aktuell
    • kocht
    • empfiehlt
    • reist
    • schreibt
  • Kägi who
    • Über
    • Kontakt
    • Medien
  • Kägi buchen
    • Dinnerclub
    • Ich biete
    • Basics
    • Rezepte
    • How-Tos
    • Vorspeise
    • Hauptspeise
    • Dessert
    • Pasta / Pizza
    • Cocktails
    • Saucen
    • Salat
    • Suppen
    • Eiscrème
    • Glutenfrei
    • Vegan
    • Vegetarisch
    • Fleisch
    • Fisch
    • Listenansicht
NZZ am Sonntag, Mai 2016

Kellergeheimnisse

Nein, bereut habe ich es nie. Obwohl es kein Kinder­spiel war, deiner habhaft zu werden – damals, noch ohne Hilfe des großen, weltweiten, anonymen Netzes. Ich wurde in einer einschlägigen Publikation auf dich aufmerksam, und nur durch meine Beziehungen zu einem mit der Szene bestens vertrauten Mittelsmann kamen wir zusammen; auf verschlungenen Pfaden fandest du schließlich den Weg zu mir. Ein großes Glück für mich, für uns. Dein Kämmerchen war vorbereitet, klaglos hast du dein neues Heim tief unter der Erde bezogen, dich auch in all den folgenden Jahren nie darüber beschwert, fernab von Tageslicht und wärmenden Sonnenstrahlen; ja, sogar den Wechsel der Jahreszeiten habe ich dir vorenthalten. Was blieb mir auch anderes übrig, als dich wegzusperren? Der tiefe Keller, den ich – fern von Gesetz und Obrigkeiten – im Geheimen ausgebaut hatte, schien mir der richtige Ort, um dich so nahe und sicher wie möglich bei mir zu wissen, dich jederzeit bewundern zu können, Zeit mit dir zu genießen und trotzdem das Wissen um deine Existenz mit keinem ­anderen teilen zu müssen. Schon lange bist du mein süßes kleines Geheimnis (wobei deine stattliche Größe eigentlich jedweden Diminutiv verbietet).

Immer wieder stieg ich in all den Jahren zu dir hinunter, lag mir doch nichts mehr am Herzen als dein Wohlbefinden. Zärtlich nahm ich dich in die Arme, streichelte über deine ebenmäßigen Schultern. Von Zeit zu Zeit reinigte ich dein ­Kleid­chen, manchmal schien der Kampf gegen den Staub beinahe aussichtslos. Nur mit größter Anstrengung widerstand ich der Begierde, dir noch im Keller deine Jungfräulichkeit zu rauben, deinen Duft in mich einzusaugen und mich an deinem mittlerweile reifen Körper zu verlustieren. Einige Male nahm ich dich gar mit hinauf, vorsichtig, darauf bedacht, dich nicht zu stark dem Tageslicht auszusetzen; zu viel davon hätte dir geschadet.

Der Versuchung, dich auf Fotos unsterblich zu ­machen, konnte ich nicht widerstehen – ein Kleingeist, der hier Obszönes denkt! Just in einem dieser raren, glücklichen Momente überraschte mich mein bester Freund. Unmöglich war es von nun an, ihm mein größtes Geheimnis länger vorzuent­halten. Natürlich gab er keine Ruhe; seine ähnlich gelagerten Interessen waren mir wohlbekannt. Genauso wie sein Credo, das er mantraartig wieder­-holte: Eine stattliche Erscheinung wie du, mit reifem, üppigem Körper, sei doch wie geschaffen, um zwei Gentlemen einen Nachmittag lang un­vergessliche Glücksmomente zu bescheren. Nur, für mich war immer klar, du gehörst mir ganz ­allein. Deine berauschende Einmaligkeit teile ich mit ­niemandem, einen ganz besonderen Tag werde ich für uns aussuchen und eine magische Stimmung dazu kreieren, denn nichts anderes hast du ­verdient, du, meine geliebte Magnum Château ­Lafite-Rothschild 1982

©2023 Richard Kägi