Ich blinzle, das Smaragdgrün des Wassers strahlt mit dem wolkenlosen Himmel um die Wette, am Horizont vereinen sich Himmel und Meer in einem unendlichen Fächer von Blautönen. Leise gluckern die Wellen unter der Holzterrasse, auf der mein akkurat gedecktes Tischlein steht. Gluckern tut es auch im Glas, wenn der Cameriere mir von dem herrlich erfrischenden Falanghina nachschenkt. Was er öfter tun muss. Alle paar Minuten fasst er sich in den Schritt – »che fortuna«, noch alles da, was den Mann ausmacht. Er stellt ein Glas auf den Tisch; darin klirren Eiswürfel, die das frisch aufgeschnittene, rohe Gemüse kühlen.
Auf der anderen Seite der kleinen Bucht parken einige Wohnmobile, aus einem davon quetscht sich gerade eine unglaublich dicke Frau durch die schmale Tür, hinter ihr ein Mann, der schiebt und drückt. Die Hitze liegt flirrend über dem Meer. Die groteske Situation lässt mich an einen Fellini-Film denken. Irgendwie hat es die Dame nach draußen geschafft, sie wackelt in ihrem blauen Badeanzug hinunter zum Strand und watet ins kristallklare Wasser. Ich meine, den Meeresspiegel um einige Zentimeter steigen zu sehen, doch vielleicht ist das auch die Wirkung des Weins.
Ich beiße in einen Streifen gelb-rote Karotte und bin wie elektrisiert. Was für ein Geschmack! Diese Süße! Und gleichzeitig ein Hauch von erdiger, würziger Salzigkeit. Sofort rufe ich den Titolare, der über die Kasse wacht, zu mir. »Sie delektieren sich da an einer Carota di Polignano a Mare, vom Nachbardorf, mit DOP und Presidio-Slow-Food-Status.« Auch so werde ich fündig auf der nie endenden Jagd nach dem Guten. Teller um Teller wird nun aufgetragen, gefüllt mit dem, was die Fischer frühmorgens vom Meeresgrund geklaubt und aus ihren Netzen gewickelt haben. Alles roh, Crudi di Mare: Seeigel, die roten Gallipoli-Gamberi, Tagliatelle vom rohen Tintenfisch, so frisch und fest im Biss, sie knacken kaum hörbar zwischen den Zähnen. Cozze, Vongole, vor Minuten geöffnet, sie zucken noch und warten darauf, von mir verschlungen zu werden. Aus den Augenwinkeln sehe ich die Frau von vorhin, sich mühsam aus dem Wasser wälzen. Ich denke an einen Blauwal – und lasse einen rohen Gambero im Mund schmelzen. Naheliegend, dass mir da Süditalien in den Sinn kam. Überhaupt, Italien!
Kein Land bereise ich öfter und lieber. Noch ist nicht alles entdeckt, der kulinarische Schatz an Zutaten und Rezepten scheint unerschöpflich.
Das Olivenöl, dessentwegen ich auch hierher kam, hatte ich einige Monate zuvor degustiert, ohne große Erwartungen. Apulien, das fast sechzig Prozent der gesamten in Italien gepressten Ölmenge beisteuert, gilt gemeinhin nicht als Wiege außergewöhnlicher Qualitäten. Doch dieses zählte unbestritten zum Besten, was mir seit Jahren auf die Zunge gekommen war. Klar, dass ich mir diesen Betrieb aus der Nähe anschaue, bevor das Öl dann ins Regal kommt.
Ich drehe die letzten Linguine auf die Gabel. Sie durften sich zuvor in der Pfanne mit einem Sugo aus Datterini-Tomaten, frischen Zucchiniblüten und Scampi vollsaugen, bevor sie meinem nie enden wollenden Appetit zum Opfer fielen. Es schmeckt zum In-den-Teller-Weinen gut. Ermattet lehne ich mich zurück und schaue auf s Wasser. Che dolce vita! Der Blauwal liegt wie gestrandet im Sand. Ich rufe nach der Rechnung. »Schento-wenti!« Die Antwort kommt prompt, in diesem schludrig hingemurmelten Italienisch und natürlich ohne Scontrino, ohne Quittung.
Ich schließe die Augen und versuche, mir die Anzahl Sughi vorzustellen, die in dieser Sekunde auf Italiens Herden ihrer Vollendung entgegenköcheln. Ein Gedanke, der mich glücklich macht. Italia, ti amo!