Müsste man Italiens kulinarische Tradition auf den kleinsten, gemeinsamen Nenner reduzieren, es wären die 2 P. Für Pizza und Pasta. Doch in den letzten zwanzig Jahren hat sich ein drittes P dazu geschlichen. Das für Panettone.
Eine kurze Geschichte über Völlerei, Versäumnisse und (drohendem) Verlust der kulinarischen Identität.
Der Panettone ist ein Weihnachtsgebäck aus Mailand. Nicht zu verwechseln mit dem Pandoro (goldenes Brot) aus Verona. Erstmals erwähnt im 18. Jahrhundert, hat dieser nur den Basisteig gemeinsam mit seinem Mailänder Vetter. Kandierte Früchte, sowie Rosinen sucht man im Pandoro vergeblich. Auch wird er in einer achteckigen Form gebacken, besitzt darum nicht die typische Kuppelform des Panettone und wird mit Puderzucker überstäubt serviert. So soll er an die Veroneser Alpen erinnern.
Panettone (das Wort leitet sich von Panetto ab, einem kleinen Kuchen. Die Endung -one ändert die Bedeutung in ,großer Kuchen’) wurden erstmals im 15. Jahrhundert gebacken, sie waren ein typischer Ausdruck der klerikalen Völlerei vor und während der Weihnachtstage. Für das hellgelbe, süsse Brot wurden die Vorratskammern geplündert, Butter, Eier, Zucker, alles, was teuer und lecker war, gezuckerte Früchte, kostbare Gewürze aus Übersee, das alles ergab ein duftendes, luxuriöses Gebäck, das viel später auch mit regionalen Zutaten wie Schokolade, Piemonteser Haselnüsse, süssem Wein aus Pantelleria und Amalfi-Zitronen noch mehr verfeinert wurde.
Mit der Gründung der Republik festigte der Panettone seinen Ruf als nationales Symbol weihnächtlichens sich-gut-gehen-lassen. Die süssen Dome wurden immer aufwändiger verpackt und in Mini- wie auch mehrere Kilo schweren Versionen gebacken. Doch die steigende Beliebtheit als Mitbringsel und Zeichen nationaler, kulinarischer Identität hatte vor allem eines zur Folge. Mit dem Aufkommen industriellen Backgewerbes stiegen zwar Produktionszahlen vehement, in gleichem Masse sanken Qualität der Zutaten und Ansehen.
Es passierte gar dasselbe wie damals mit der Pizza. In ihrer Heimat zum Allerweltsessen verkommen, machten Pizzaiolos im Ausland Furore mit höchsten Qualitätsansprüchen an Zutaten und Fertigung, experimentierten mit überlangen Teigführungen, Sauerteigen und Jahrzehnte gereiften Lievitie Madri. In Italien hatte man sich nie viele Gedanken gemacht. Pizza musste schnell gehen, billig und überall erhältlich. Als aber Leute anfingen, zu sagen, sie hätten in Australien oder sonst wo die bessere Pizza gegessen als in Neapel, fand ein Umdenken hinsichtlich Qualität und Philosophie statt. Was zu einer triumphalen Rückkehr der Pizza nach Italien führte, das Land gilt heute wieder als die Heimat der weltbesten Pizzabäcker und ihrer Lokale.
Seit sich ausserhalb Italiens Starbäcker und Sauerteig-Afficionados dem Thema Panettone annehmen, tobt auf den sozialen Medien eine Schlacht zwischen Traditionalisten und (Ultra)Puristen, und vor allem zwischen Italien und dem Rest der Welt. Über Zutaten, Grösse der im Teig eingeschlossenen Luftblasen, über Konservierungsmittel (darf ein Panettone aus Italien eigentlich nicht haben) und über garantierte Herkunftsbezeichnungen. Genau diese fehlt dem Panettone. Obwohl die Erfindung nachweislich Mailand oder zumindest der Lombardei zugeordnet werden kann, versäumten es die italienischen Behörden, mit einer D.O.P. Garantie dem Weihnachtskuchen ein für alle Mal eine garantierte Heimat zu geben. So wie sie es erfolgreich mit dem Parmesan (nur original Emilia Romagna) oder der Mortadella (aus Bologna) getan haben. Heute ist es der ganzen Welt erlaubt, ihre Erzeugnisse Panettone zu nennen, egal wo sie gebacken werden. Vor allem in den klassischen Auswanderer-Länder des letzten Jahrhunderts, in Süd- und Nordamerika, wurden von ehemaligen Italienern riesige Back-Dynastien gegründet, welche die Märkte mit industriell hergestellten, billigen Erzeugnissen fluteten. Was dann Bäckereien in Italien unter Druck setzte, ebenfalls an der Qualität zu schrauben. Erst 2005 erliess die italienische Regierung ein Gesetz, das dem Panettone classico ,made in Italy’ ausschliesslich natürliche Zutaten wie Eier, Zucker, Butter, Mehl und kandierte Früchte erlaubte. Das, zusammen mit der neuen Konkurrenz ausländischer, artisanaler Bäcker, führte zu einer markanten Verbesserung der italienischen Panettoni.
Verwirrung stiften ebenfalls die ausufernde Anzahl Competizioni, die nicht nur in Italien immer zahlreicher werden. Da gibt es die Coppa del Mondo de Panettone (nicht zu verwechseln mit der Panettone-Weltmeisterschaft), den Panettone-Tag in Mailand, den Tenzone del Panettone (Panettone-Duell) in Parma oder den nationalen Wettbewerb Artisti del Panettone. Die japanische Panettone Appreciation Society, die 2020 gegründet wurde, veranstaltete dieses Jahr ihre zweite Meisterschaft. Dazu kommen diverse Backwettbewerbe in Amerika und weiteren Ländern.
Zur kompletten Unübersichtlichkeit führen gegensätzliche Ansichten zwischen Sauerteig-Puristen wie Olga Koutseridi und Roy Shvartzapel, deren Arbeitsweise zu sichtbaren Glutensträngen und übergrossen Lufteinschlüssen im Panettone führen und den Traditionalisten wie dem vielfach ausgezeichneten Giuseppe Piffaretti aus Mendrisio. Er sagt: «Panettone ist für einen Patissier das am schwierigsten herzustellende Gebäck. Es braucht 2 Teige, die über 3-4 Tage bearbeitet und reifen müssen und zehn Jahre, bis ein Mitarbeiter das perfekt beherrscht».
Woran man einen guten Panettone erkennt
Jetzt, wo überall Berge von Panettone aufgetürmt sind (das Verpackungsspektrum reicht von potthässlich bis zeitlos elegant) wäre es fabelhaft, man könnte vor dem Kaufentscheid von jedem probieren. Meistens unmöglich, vor allem wenn wie im Jelmoli 60 verschiedene Sorten aus fast ebenso vielen Brands auf Käufer warten. Die dieses Jahr etwa 15’000-mal zugreifen werden, verrät mir Thierry Bromberger, der Food-Chef. «Je weniger Zutaten aufgeführt sind, desto besser». Dieses rudimentäre Merkmal für Qualität gilt aber für alles, was gut und handwerklich hergestellt ist. Darum kommt niemand um Degustieren herum. Hilfreich dabei sind die kleinen Versionen, die manche Hersteller anbieten. Und die nachfolgende Liste, die ich mir auf der Suche nach grossartigen Panettoni über die Jahre notiert habe.
Hier noch meine Qualitätskriterien: Eine zarte, goldbraune Krume, beim Aufschneiden ein butteriger, von Vanille und Eiern dominierter Duft, ein kräftig-gelber, mollig feuchter Teig, der fast ein wenig an den Zähnen kleben bleibt. Der Anteil der kandierten Früchte soll bescheiden sein, ihr Geschmack wird sonst zu dominant. Haltbar ist das Gebäck ungeöffnet Monate über das aufgedruckte Datum hinaus, einmal geöffnet, sollte es innert Wochenfrist gegessen sein. Resten als Zutaten für Puddings verwenden!
Rezept Panettone und Butter Pudding
Meine Favoriten:
Pasticceria Mastai
https://mastai.homies.pro/pasticceria/
23022 Chiavenna (hat in Zürich einige Coiffeur-Salons als Verkaufsstellen!)
Pasticceria Marchesi
https://www.pasticceriamarchesi.com/eu/it/christmas/leavened_cakes.html
20121 Milano
Panetteria Poncini
6673 Maggia
Alta Pasticceria Iginio Massari
https://www.iginiomassari.it/en/collections/lievitati/products/panettone-tradizionale
25128 Brescia
La Fabbrica del Panettone
https://www.fabbrica-panettone.ch/
9000 St. Gallen
Pasticceria Roberto Moreschi
https://www.robertomoreschi.it/prodotto/panettone/
23022 Chiavenna
Pasticceria Nero Vaniglia
Roma
La Bottega del Fornaio
https://www.labottegadelfornaio.ch/
6850 Mendrisio
Fiasconaro
Castelbuono, Sicilia
Oliviera 1882
Arzignano, Vicenca
Ivan e Masa
https://www.ivanemasa.com/il-mitico-panettone/
20212 Milano (nur auf Vorbestellung info@ivanemasa.com)
Pasticceria Giotto (gebacken wird von Häftlingen im Gefängnis von Padua!)
https://www.pasticceriagiotto.it/it_IT/
erhältlich in der Schweiz über Delizia gmbh