Richard Kägi

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NZZ am Sonntag, November 2016

Hot & Beautiful

Eva weint. Eva ist aber nicht etwa traurig. Im Gegenteil. Eva ist sehr glücklich. Sie wird nämlich gerade von mir bekocht. Und das ist prinzipiell schon mal ein Riesenglück für jede Eva. Nein, sie weint ob der Schärfe der Chilisauce, die ich ihr gerade serviere. „Chili Addict“ steht vielsagend auf dem harmlos daherkommenden Fläschchen. Ich bin weder ein Drogendealer, noch schmiede ich Rachepläne gegen Eva. Rasch stopfe ich ihr etwas Joghurt ins brennende Mündchen. Das lindert. Und ist das einzige, was gegen Chilischärfe wirklich hilft.

Geschmackliche Schärfe, egal ob von Chilis, Pfeffer, Knoblauch oder Ingwer, brennt die Langeweile aus vielen Speisen, malträtiert unsere Empfindsamkeit bis zur Schmerzgrenze, verschlägt uns die Sprache. Sie erzeugt Schweissausbrüche und lässt uns nach Wasser schreien. Obwohl, wie wir alle schon erfahren haben, Wasser als Löschmittel nichts taugt. Trotz den Schmerzen, die allzu viel Chili erzeugen kann, greifen wir immer wieder danach. Insgeheim suchen wir den wiederholten Schärfekick, kulinarische Endorphinschübe sozusagen. So auch (die scharfe) Eva. „Scharf macht mich glücklich und lustvoll, mich nennen sie auch Million-Scoville-Woman!“ Scoville? Gemeint ist die vom Apotheker Wilbur L. Scoville vor 100 Jahren entwickelte Methode zur Bestimmung der Schärfe von Paprikapflanzen. Der Wert ist abhängig vom Anteil des in Chilis enthaltenen Capsaicin. Dieses Alkaloid mogelt unserem Gehirn Hitze vor, das reagiert mit Verbrennungsreizen. Was sich medizinisch-trocken anhört, kann die reinste Folter bedeuten. Peperoni kommen über den Wert 10 nicht hinaus, reines Capsaicin auf über 17 000 000 Scoville. Da werden Milligramm davon zum Killerinstrument. Tabasco mit ca 5000 Scoville heizt uns schon tüchtig ein, indische Tezpur-Chilis sowie einige Habanero-Sorten aus Zentralamerika erreichen bis 1 Million auf der Schärfe-Schmerz-Lust Skala und beschäftigen unseren Metabolismus noch Tage danach. Wenn er diese Attacken überhaupt überlebt.

Zurück zur Chilisauce: Vor einigen Jahren durchquere ich die unirdisch schöne Landschaft der Klein Karoo, eine Art Steppe nordöstlich von Kapstadt. Ich bin auf der Suche nach speziellen Honigsorten. Lokale Farmer, die eine besondere Chili-Sorte anpflanzen, verwiesen mich an eine kleine Firma, die ihnen die extrem scharfen Dinger abnimmt und eine Sauce daraus braut. Der richtige Zeitpunkt für die Degustation der Chili-Saucen, die ich hier in Auftrag gab. Die Idee dahinter: Sechs verschieden schmeckende Saucen mit unterschiedlichen Schärfegraden. Gerademal zwei Espresso im Magen, dünkt es mich der perfekte Zeitpunkt für diese Masochisten-Degu. Wie ich dort die kleinen Fässer sehe, worin die Chilis in einem wahrhaften Höllensud 2 Jahre vor sich hin reifen, ist schnell klar, warum die Mitarbeiter und Besucher dort nur mit Atemschutzmasken nahe an die Holzfässchen herangeführt werden. Das beissende Aroma brennt durch die Maske hindurch jegliche anderen Gerüche aus dem Weg.

Während der folgenden Stunden täuschen wir unsere Schmerzrezeptoren auf der Zunge wieder und wieder mit unterschiedlicher Zufuhr von Capsaicin. Dabei galt es noch Kräuter und Gewürze beizumischen oder wegzulassen, Salz- und Säuregehalt zu balancieren sowie Konsistenz und Farbe zu kontrollieren. Um unseren Tisch herum waberte die von brennender Schärfe getränkte Luft, sie vertrieb sogar den Hund von seinem Lieblingsplatz. Doch das Ergebnis kann sich sehen – und schmecken – lassen. Die Chili Addict Saucen gibt es in den Schärfen 4/10 bis 10/10. Gut für Eva, denke ich..

©2023 Richard Kägi