Da ist diese drollige Geschichte eines sympathischen Kerls, der als Kind in ein Fass mit Zaubertrank gefallen war. Unbesiegbar wurde derjenige, der ihn schluckte. Darin baden war aber nicht vorgesehen, die Folgen kennen wir alle: Obelix, der Gallier, wurde stark wie ein Bär, er brauchte als einziger keinen Zaubertrank, um die bösen Römer in die Flucht zu schlagen.
Nun, ich vermute, dass mit mir etwas ähnliches geschehen ist. Nein, nicht in Miraculix’ Topf mit dem Zaubertrank. Ich möchte auch keine Römer*innen verscheuchen. Im Gegenteil.
Es muss ein Tank, randvoll mit bestem Olivenöl, gewesen sein, in den ich hineinfiel. Anders kann ich mir meine Vorliebe dafür nicht erklären. Was heisst Vorliebe! Ähnlich dem Crack-Süchtigen, dem der Stoff ausgegangen ist, bricht mir der kalte Schweiss aus, schüttle ich den letzten Tropfen aus der Flasche. Geschieht das nach Ladenschluss, wächst die Verzweiflung zur Katastrophe aus. Ist die Erdöl Sorte Brent Crude das unverzichtbare Elixier für die Verbrennungsmotoren dieser Welt, ist es das Extra Vergine für mich. Energielieferant, Schmierstoff. Mehr noch Medizin, aber vor allem Würze. Und was man liebt, damit setzt man sich auseinander.
Unser Umgang mit Olivenöl ist ein seltsamer. Relativ neu für Schweizer Zungen (es kam in den Sechziger Jahren mit den Migranten aus dem Mittelmeerraum zu uns), entstand bis heute keine unbeschwerte Liaison zwischen uns und dem pflanzlichen Fettstoff. Wobei dieser Begriff wohl der grösste Treiber für unsere ambivalente Beziehung dazu ist. Einerseits sind Fette ein unverzichtbarer Teil der Ernährung, Fett essen hört sich aber unsexy an. Dazu kommt der dominante Geschmack des Olivenöls, der manche abschreckt. Andererseits wissen wir um den mittlerweile unbestrittenen, gesundheitlichen Effekt, er ist der Grund für die Olivenöl-Hassliebe der Schweizer Konsumenten. So ganz freiwillig und mit derselben Vorfreude wie zur Tafel Schokolade greifen wir also nicht in das Ölgestell. Dieser Haltung wiederum ist der ungenügende Wissensstand um die wichtigsten Faktoren, was denn ein gutes Olivenöl ausmacht, geschuldet. Und wie immer in solchen Fällen, nutzen diese Tatsache nicht wenige – Produzenten wie Händler – zum Nachteil des Konsumenten aus.
Das Label extra vergine sagt leider nicht viel aus. Obwohl gewisse Kriterien dafür erfüllt sein müssen (Temperatur beim Pressen nicht über 28°C, Erreichen einer Mindest-Punktzahl beim Degustieren), lässt sich nur mit chemischen Analysen Missbrauch nachweisen. Und es existieren schlicht zuviele Konsortien, die diese Degustationen durchführen und unterschiedlich bewerten. Getestet wird ähnlich wie beim Wein. Nur sind die Kriterien viel einfacher. Geruchs- und Geschmackspektrum von Olivenöl bestehen aus lediglich drei positiven Kriterien. Fruchtig, bitter und scharf. Je mehr, desto besser. Die Nase beurteilt zuerst Art und Intensität von Fruchtigkeit. Vorherrschend sind oft grüne Töne, von Gras bis Artischocken oder grünen Tomaten, in einer Skala von 1 – 10.
Auf der Zunge werden dann Bitterkeit und Schärfe determiniert, und noch einmal die Frucht-Intensität. Dazu der Eindruck der Harmonie, von den drei Kriterien sollte keiner nach unten oder oben ausscheren.
Negative Kriterien sind zahlreicher und auch schwieriger zu bestimmen. Das häufigste: Ranzig. Weitere Fehler sind schlammig, metallisch oder weinig, sie entstehen bei unsauberer Verarbeitung beim Pressen und Lagern.
Verabschieden sollte man sich auch von der romantischen Vorstellung tonnenschwerer Mahlsteine, zum Zerkleinern der Oliven. Qualitätsbewusste Produktion findet unter Vakuum statt, um der Oxydation keine Chance zu geben, dem grössten Feind frisch gepressten Öls. Darum macht es wenig Sinn, an einer schon geöffneten Flasche zu riechen, dort findet die Nase immer einen ranzigen Unterton. Ein kleines Glas oder einen Löffel nehmen und probieren.
Überhaupt, die Lagerung zuhause. Wer nicht wie ich alle vier Tage eine frische 500ml Flasche öffnet, sollte sein Öl nicht neben dem Herd oder sonstwo am Tageslicht stehen lassen. Wärme und Licht begünstigen die Oxydation. Das beste Behältnis sind Blechkanister, aber auch in dunklen Glasflaschen kühl gelagert hält Olivenöl jahrelang.
Noch etwas zum Preis: Finger weg von Flaschen mit einem Literpreis von unter zwölf Franken. Für weniger ist es keinem Produzenten möglich, ehrliche extra vergine Qualität herzustellen. Und alles über fünfundreissig Franken der Liter ist überteuert.
Ich sehe Olivenöl als Würze an. Und nehme es selbst zum Backen, in fast jedem Kuchen kann es statt Butter verwendet werden, ganz ohne Nebengeschmack. Mein Verbrauch ist legendär, glücklicherweise schicken mir viele Produzenten ihr jeweils frisches Öl, um meine Meinung zu erfahren. Sonst wäre ich längst bankrott. Mein Arzt traute lange seinen Instrumenten nicht, testete er meine Blut- und Leberwerte. Zu gut sind sie. Auch sein Stethoskop wollte er schon entsorgen, weil er nur alle Ewigkeit einen Herzschlag hörte. Heute eicht er seine neuen Messgeräte anhand meiner Cholesterinwerte. Er mass nie bessere. Er und ich, wir wissen, warum.
Richard Kägi kocht und ist Autor. Er war 12 Jahre Tester für den Olive Oil Award der Hochschule Wädenswil. In seinem Kochbuch ist Olivenöl die wichtigste Zutat.
Kauftips Olivenöl:
Das mit dem Preis, das habe ich oben erklärt. Die Grossverteiler können es sich nicht leisten, mindere Qualitäten in ihren wichtigsten Marken zu führen. Nehmen wir das Beispiel Monini, quasi das Hausöl der Migros. Da würde ich nicht das günstigste aus dieser Linie, sondern das Gran Fruttata nehmen. Für unter zwanzig Franken der Liter bekommt man ein extra vergine, das Hilfe in allen (Koch)Lebenslagen bietet. Natürlich tritt bei diesem Olivenöl Bitterkeit und Schärfe überhaupt nicht dominant hervor. Das soll es aber auch nicht. Sonst wäre es nicht mehrheitsfähig. Ebenfalls zu empfehlen: Das Bio-Öl von dieser Marke. Möchte man mehr Olivengeschmack, mehr von den positiven Eigenschaften, dann sollte man in der Migros entweder zu den Monocultivar (Olivenöle, die aus nur einer, für die Region typische Olivensorte, gepresst wurde. Zum Beispiel das Noccelara aus Sizilien oder das Frantoio. Für mich die besten Produkte des orangen M sind die D.O.P. (Produkt mit garantierter Herkunft) Öle, wie das aus Sardinien oder Sizilien. Diese verwende ich nur kalt, ich kaufe diese regelmässig. Da sind wir aber dann auch bei einem Literpreis über dreissig Franken.
Ähnlich sieht es beim Coop aus. Auch dort empfehle ich die Produkte mit garantierter Herkunft (DOP oder IGP) und wenn möglich in Bio-Qualität. Auch das Kalamata (eine griechische Sorte) in der Literflasche ist zum Kochen und Braten zu verwenden, der Liter 18 Franken ist völlig in Ordnung. Die teureren Öle würde ich nur kalt verwenden.
Von Berio würde ich die Finger lassen, die Qualität dort hat mich zu oft schon enttäuscht.
Natürlich, da sind noch die unzähligen Brands in den Spezialitätenläden oder im Globus und Jelmoli. Aus den breiten Sortimenten dort von zum Teil über vierzig Sorten das passende heraus zu picken, da gibt es nur eins: Durchprobieren. Und sich nicht von besonders eleganten Flaschen verführen zu lassen. Dazu auch immer an die Preisschiene halten. Mehr als 35 Franken der Liter ist ungerechtfertigt.
Eine weitere Hilfe: Olivenöl von Weingütern ist fast immer ein No-Brainer. Denn wer die Kunst versteht, guten Wein zu machen, wendet seine Qualitätskriterien im selben Masse auch bei seinem Olivenöl an. Ein gutes Beispiel ist Ornellaia (leider zu teuer, wie der Wein auch..) oder Thomas Bär, der auf seinem Weingut Gagliole in der Toskana auch hervorragendes Öl presst.
Im Allgemeinen haben sich die Qualitäten in den letzten Jahren stark verbessert. Das aus mehreren Gründen. Wie beim Wein sind oft nächste Generationen von Produzenten am Steuer, qualitätsbewusster, gut ausgebildet und auch bereit, grosse Investitionen in die neuesten Techniken zu tätigen. Ein gutes Beispiel dafür ist Andalusien. Bis vor 15 Jahren war es fast unmöglich, ein frisch schmeckendes, richtig gutes Öl aus diesem riesigen Anbaugebiet zu erhalten. Die Produzenten liessen die Oliven am Baum, bis sie braun oder schwarz und somit vollständig reif waren. Das erhöht zum einen die daraus pressbare Menge Öl substanziell, grüne, frische Töne sucht man dann aber vergeblich. Riesige solcher Mengen aus Andalusien wurden dann nach Italien verkauft, wo es sich auf nicht so wunderbare Weise in italienisches Olivenöl verwandelte. Es gab ja auch Zeiten, da exportierte Italien mehr Mengen, als es produzierte. Und da waren ja auch noch die Italiener selber, mit ihrem nicht geringen Verbrauch..
Was ich wirklich jedem Olivenöl-Freund empfehle: Zur Erntezeit nach Italien oder Spanien zu fahren, bei der Ernte mitzuhelfen oder zuschauen und dann einen Schluck vom frisch gepressten Öl probieren. So gut ist es nachher nie mehr. Die Frucht-Intensität ist so hoch, man hat gar nicht das Gefühl, ÖL am Gaumen zu haben, es schmeckt eher wie ein Fruchtsaft.