Seine Meinung sagen kostet Überwindung, aber ist nötig – im Restaurant wie im privaten Rahmen. Sonst wird Schwiegermutters Pannacotta nie gut.
Beschweren Sie sich in Restaurants? Machen Sie kein Hehl daraus, wenn der Koch Sie bloss als zeit- und nervenraubenden Essensabwicklungsfall sieht anstatt als willkommenen und zahlenden Gast? Hoffentlich. Ich tue es. Und nicht zu knapp. Das Personal fragt ja schliesslich auch danach. Obwohl diese Frage oft nur als Automatismus erscheint, in der Hoffnung, der Gast beschwere sich ja nicht. Dabei ist ein auf den Punkt gebrachtes, freundliches Kunden-Feedback des Kochs bestes Steuerrad.
Anspruchsvoller sind derlei Kommentare bei privaten Einladungen. Soll ich Kritik üben an der kraft- und saftlosen Kalbshaxe, welche die Gattin eines Vorgesetzten im Backofen verdorren liess? Natürlich. Es widerspricht auch meiner Arbeitsethik, im Hintern eines Chefs herumzukriechen, umso mehr als dort schon zu viele andere sitzen. Mich am Tisch der potenziellen Schwiegermutter über ihre missratene Wackel-Pannacotta mokieren, die aussieht wie fest gewordenes Aquariumwasser mit darübergeraspelten Goldfischen? Aber sicher.
Das nächste Mal wird’s besser
Kulinarische Orgasmen vorzutäuschen und alternative Geschmacksfakten zu bestätigen, ist nicht mein Ding. Was die Qualität beim Sex nicht vorwärtsbringt, ist auch kochenden Freundinnen und Nachbarn wenig dienlich. Es besteht leider durchaus die Möglichkeit, dass man nicht das Richtige sagen kann, man keine Wahl hat zwischen gut und schlecht, sondern nur zwischen schlecht, noch schlechter und schlechter geht’s nicht. Dann helfen konkrete Ratschläge. Glücklicherweise nimmt mir meine Kritik kaum jemand übel, berate ich doch, wie es das nächste Mal besser wird.
Was für kochende Wirte genauso gilt wie für die Köchin daheim: Meist liegt es gar nicht an fehlendem Handwerk oder beim Sparen an den besten Produkten. Ein Fleisch auf den Medium-rare-Punkt grillieren oder den Kabeljau so perfekt braten, dass er mit leichtem Druck der Gabel in glasig durchscheinende Lamellen auseinander rutscht, das können viele. Aber eine geschmackliche Verbindung herstellen, Eigengeschmack verstärken und eine Symbiose aus gustatorischen Empfindungen herstellen, die sich wie ein jubelndes Sportlerteam in die Arme fallen, wie beste Freunde, die sich nach den Sommerferien wiedersehen, daran scheitern die meisten.
Einen Spannungsbogen formulieren
Dabei ist es so einfach. Mit einem kleinen Arsenal an würzigen, sauren, scharfen und süssen Salsas, Pestos, Aiolis, Pickles, aromatisierten Ölen und Kräuteremulsionen ist es kinderleicht, Geschmack schichtartig um das Hauptprodukt herum aufzubauen. Es sind der Spitzenköche wichtigste Waffen im Kampf gegen Eintönigkeit auf dem Teller und auch gegen die Sterne-Konkurrenz in anderen Küchen. Es geht nicht darum, zum Beispiel ein aromatisiertes Öl im Gericht herauszuschmecken. Aber es wird dem Rezept eine zusätzliche Dimension verleihen, eine olfaktorische Harmonie, welche die einzelnen Zutaten verbindet und den geschmacklichen Spannungsbogen schliessen kann.
Die meisten solcher natürlichen Aroma-Booster sind einige Tage bis einige Wochen haltbar. Damit verlängert man auch die Saison von gewissen Zutaten. Denn saisonal kochen heisst: Zutaten sind dann am besten, am einfachsten erhältlich und am preiswertesten. Das goldene Dreieck des Kochens. Und bleibt einmal etwas übrig, ist Kreativität gefragt, aber genauso deliziös sind solche Condiments, werden sie auf geröstetes Brot geschmiert oder Sandwiches damit aufgepeppt.