Fleisch essen ohne schlechtes Gewissen und ohne Gendern ein Bier bestellen: Unser Autor Richard Kägi wünscht sich etwas von der Unbeschwertheit der Prä-Bubble-Gesellschaft zurück.
Ich weiss ja nicht, wie es Ihnen geht. Essen Sie noch unbeschwert und gerade wann immer sie Lust auf Butter, Chips, Steaks, Doppelrahm und andere Schweinereien habe? Ohne an mögliche Speckrollen/Darmkrebs/Alzheimer und Impotenz-Folgen zu denken, überhaupt an die Gesundheit, die somit den Bach runtergeht? Ohne alles zu verteufeln, was früher allen schmeckte und woran man sich heute nur noch im Versteckten daran delektiert? Weder bauen Sie einen Altar um Ihr Essen, noch dämonisieren es, ein Lebensentwurf ist es schon gar nicht, noch weniger eine Religion? Dann gehören Sie zur Mehrheit. Und dürfen sich auch freuen darüber.
Nur, den Planeten retten Sie dadurch natürlich nicht. Oder das, was überhaupt noch zum Retten übrig ist. Noch nicht ausgerottet, niedergebrannt oder umweltvergiftet vom schlimmsten Tier, das jemals darauf gelebt hat.
Diese Unbeschwertheit der allermeisten, sie wünsche ich mir manchmal zurück. Die exzessive Auseinandersetzung mit einem Thema – auch wenn es einem entspricht und sogar zu einem Lebensentwurf herangewachsen ist – hat seine Schattenseiten. Teil einer Bubble sein, heisst auch, akzeptieren, dass es ausserhalb eine noch viel grössere gibt, die anders denkt. Seit einigen Jahren begegne ich fast nur noch Menschen, die ,kaum noch’, ‘immer weniger’ oder ,fast gar kein’ Fleisch mehr essen. Das ist wunderbar. Vor allem, wenn es auch wahr ist. Denn laut der Statistik sinkt der Fleischkonsum hierzulande nur marginal. Und das auch nur, weil die Leute Corona bedingt weniger ins Restaurant gingen. Denn zu Hause zubereiten, was vom armen Tier übrig geblieben ist, das können die meisten nicht. Ausserdem stinkt es danach in der Küche.
Es ist nicht die Gesellschaft, die sich ändert, sondern meine Position darin. Die Gefahr, sich als Bubble-Bewohner wichtiger zu nehmen, als man ist, lauert bei jeder Auseinandersetzung mit andersdenkenden. So ist es nicht bloss beim Essen. Wer in der einen Blase sitzt, ist auch empfänglich für weitere Lebensverbesserungs-Konzepte.
Immer öfters schreiben Menschen ihre Personalpronomen unter ihre Namen. Da ist man vorgewarnt, die Gender-Bubble poppt auf. Was zur Klärung der genauen Zugehörigkeit innerhalb der Queer-LGBTQ-Blase beitragen soll, kann das Gegenteil bewirken. Kürzlich überreichte mir eine Bekannte(r,s?) ihre/seine Visitenkarte, sie war auf Postkartengrösse angewachsen, die Pronomen und Adjektive hätten sonst nicht Platz gehabt. Ausser einem ,Dankeschön’ brachte ich nichts heraus. Die Reduktion auf nur eines von allem, was da alles unter ihrem Namen stand, erschien mir etwas vermessen. She / her / ihn / es / he / we(e) / lui / hetero / hers / toi / wealltogether / garnix / cis / schiessmichtot / noussommes / wederfischnochvogel / heutedies-morgendas / homo / unstraight etc.
Vielleicht hat sie/es/er sich in diesem Moment auch nicht als etwas von obenstehendem gefühlt, sondern als Salatgurke. Dann hätte gerade gar nichts gepasst.
Natürlich treten solche Erscheinungen in urbanen Räumen stärker auf. Aber auch ländliche Kreise eignen sich treffend für soziologische Studien dieser Art. Nach einem Produzentenbesuch im tiefsten Aargau, in der Dorfbeiz. Die ausgiebigen Inspektionen, welche die Stammtisch-Männergruppe der offenbar frisch angefangenen Serviererin pausenlos angedeihen lässt, steckt sie teilnahmslos weg. Bis einer ruft: «Froilein, noch eine Runde! Jetzt platzt ihr der Kragen. «Ich bin kein Froilein. Ich bin eine Servicefachangestellter-Sternchen-in. Und Ihre Zigarre, das geht gar nicht, das ist kulturelle Aneignung. Nur Kubaner dürfen welche rauchen!» Der SVP-ler tut mir fast ein wenig leid, was soll er da noch sagen? Für ihn ist die Welt aus den Fugen. Oder eben falsche Blase.
Es muss wohl das Gemeinschaftsgefühl sein, das Menschen in Bubbles eintauchen lässt. Man erweist ihr aber einen Bärendienst, schreit man laut und drängelnd deren Philosophie (und die eigene Wichtigkeit) in die Gesellschaft. Vor allem, wenn sich die eigene Inkonsequenz doch nicht ganz verheimlichen lässt. Wenn die lautesten Aktivisten an der Klimademo in Fünffranken-Shirts der grossen Textilketten und in Adidas Sneakers herumwettern, kommt das beim aufmerksamen Zuschauer schlecht an. Genauso die Fleischverächter, die auf keinen Fall ein Tierleben auf dem Gewissen haben wollen. Dann bitte auch keinen Tofu und kein Gemüse mehr essen. Bei deren Anbau und Produktion sterben Millionen an (Klein)tieren.
Etwas mehr Pragmatismus und Demut bitte. Das stünde auch den Leuchtfeuern einer Bewegung gut. Machen sich Koryphäen wie René Redzepi, Gründer des legendären Restaurant Noma, oder Daniel Humm, der nicht minder berühmte Neo-Veganer in seinem New Yorker Restaurant Eleven Madison Park, Gedanken über die Hunderttausende von Gästen, die aus der ganzen Welt anreisen, um dort aus supernachhaltig erzeugten Produkten klimafreundliche Gerichte zu geniessen? Und da kommt keiner mit dem Gummiboot angerudert.
Neben dem Essen, dem Klima und dem Anderssein, als bei Geburt vermeintlich vorbestimmt, sind Frauenthemen die vierte Bubble, der auszuweichen zurzeit unmöglich ist. Auch wenn sie genauso nötig ist wie die anderen, sie ist diejenige mit dem höchsten Pragmatismus-Level. Zweifellos werden Hardcore Themen wie Gleichstellung und Unterdrückung mit der nötigen Vehemenz vorangetrieben. Doch wenn auf der Femelle Webseite dem Mythos ‘Synchron menstruieren’ auf den (blutigen) Grund gegangen wird und als Belohnung das gemeinsame Profitieren der Tampon-Aktion im Supermarkt winkt, sowie gegenseitiges Kochen von heissem, linderndem Tee, dann hört sich das doch sehr entspannt an.