Der Gast ist nicht immer König
Gastgeber*in. Das Wort sagt in grosser Deutlichkeit, was gemeint ist damit. Ich lade ein, empfange, bewirte, beherberge. Das alles in bestmöglicher, bedingungsloser Absicht, mit offenem Herzen und Türe. Die aufmerksame Gastgeberin macht sich Gedanken über Form, Ablauf und Inhalt für die Dauer der Einladung. Vor allem über den Inhalt der Pfannen, Töpfe und Gläser, aus denen die glücklichen Gäste ihren Hunger und Durst stillen.
Zumindest war das so, bis vor kurzem. Da kochten wir, was man selbst gerne und oft ass. Und folgerichtig eine gewisse Übung – manchmal bis hin zur Perfektion – darin entwickelten.
Heute ist alles anders. Nun wird vor allem weggelassen, beim Zubereiten. Geschätzt wird nicht mehr die üppig gedeckte Tafel, sondern die wohlüberlegte und kunstvolle Vermeidung, von allem, was uns lieb ist und einst allen schmeckte. Nicht nur uns. Auch unseren Gästen.
Kaum ist die Einladung zum Dinner ausgesprochen, fliegen einem die ersten Kommentare in die Mailbox (und um die Ohren). «Gell, Du denkst an meine Laktose-Intoleranz, gerade beschwörte mich mein Therapeut, einen Bogen um Kühlschränke zu machen, in denen Milch lagert, wegen den Schwingungen». Man staunt und erinnert sich, dass der Gute sich bis vor kurzem noch hauptsächlich von Burrata, Fondue und Capucchino ernährt hatte, Schwingungen hin oder her. Schon ruft die beste Freundin an. Mir schwant böses. «Bitte dann nicht Deine Lasagne, ich liebe sie ja heiss. Aber nach meiner Umstellung auf basenneutrale Algenshake-Ernährung würde die Pasta schnurstracks an meine Hüften wandern. Und dort leider auch bleiben». Ich versuche, mir ihre Diät geschmacklich und visuell vorzustellen. Es gelingt mir nicht. Zum Glück. Solche Dinge existieren ausserhalb meines Universums.
Zweifellos, Menschen, die unter Unverträglichkeiten leiden, gab es schon immer. Und mittels besserer Diagnose-Methoden können den Betroffenen die Ursachen ihrer Zipperlein präziser zugeordnet werden. So weit, so gut. Nur steigt die Zahl derjenigen, die ihre Restaurants und privaten Einladungen danach aussuchen, was dort NICHT serviert wird, exponentiell an. Und gerade frage ich mich, wo denn Caroline ihre Blähungen biblischen Ausmasses bisher entsorgt hat. Sie hat mir gerade geWhatsAppt, sie komme gerne, aber es darf auf keinen Fall Brot serviert werden, da nur schon der Geruch danach ihre frisch diagnostizierte Gluten-Allergie und damit ihre Verdauung auf Orkanstärke aufwirbelt und sie dann für nichts garantieren kann. In Gedanken streiche ich sie von der Liste.
Der Aufwand, eine Gästeschar um den Tisch zu versammeln, deren Anliegen man gerecht wird, kann sich mittlerweile aufwändiger gestalten, als die Kocherei selber. Für fast jeden eine Extrawurst (nein, nicht aus Saitan) zubereiten? Nein. In einem kreativ zusammengestellten Menü mit einem halben Dutzend Gängen können die wichtigsten Anforderungen der Gäste aber schon mal berücksichtigt werden. Dann gibt es eben nicht alles für alle. Bei Christine (seit 4 Monaten überzeugte Veganerin aus Tierwohl-Gründen), die gerade anrief, muss ich kurz streng werden. Ich könnte mir doch für alle ein veganes Dinner ausdenken, meint sie. «Mach ich. Dann lässt Du aber deine kalbslederne Chanel Tasche zuhause, kommst in Gummilatschen statt in Deinen Heels und lässt Dich in einem Billig-Uber mit Plastiksitzen hierher chauffieren, und. nicht in Deinem lederausgeschlagenen SUV». Sie findet ihre Menü-Idee auf einmal nicht mehr so dringend.
Was man sich auf keinen Fall angewöhnen sollte: Mit der Einladung auch gleichzeitig nach allfälligen Allergien oder Ernährungsphilosophien fragen. Denn die kommen dann so sicher wie die Winde von Caroline, weil ich niemals verzichte, gutes Brot aufzutischen. Wer wirklich unter einer Unverträglichkeit leidet, wird darauf hinweisen. Ich rede da aus Erfahrung. Bis vor einigen Jahren fragte ich diejenigen, die sich an meinen Dinnerclub anmeldeten, im voraus nach allfälligen Allergien. Von zwanzig reagierten immer etwa fünf mit teilweise kruden Sonderwünschen. Den Vogel (nicht aus Erbsenprotein) schoss ein Herr ab, mit einer Excel-Tabelle als Antwort. Darauf waren in der obersten Zeile Bemerkungen wie ‘Allergie’, ‘mag ich nicht’, ‘Kindheitstrauma’, ‘Scheidungsgrund’, und weitere Stichworte aufgeführt. In der Spalte links etwa vierzig Lebensmittel, die mit Kreuzen obigen Kriterien zugeteilt waren. Und es waren nicht Dinge, die man einmal im Leben isst. Ob dieser Herr Platz fand, an meiner Tafel? Seither frage ich nicht mehr. Und, wen wunderts, selten einmal weist nun jemand auf eine Allergie hin, z.B. gegenüber Schalentieren oder ein Gewürz. Oder fragt freundlich, ob auch eine vegetarische oder vegane Option möglich sei.
Deswegen, zeigt Resilienz gegenüber Sonderwünschen! Ich sehe es immer als Privileg an, bei Freunden oder auch Unbekannten am Tisch zu sitzen, so selten es mir leider auch passiert. Nicht lebensnotwendige Anpassungen am Essen, oder solche, deren Erfüllung eine schwerwiegende Umstellung dessen erfordert, ist ein Affront gegenüber dem Einladenden. Zeigt sich ein Gast unbelehrbar und trotzdem möchte man sie oder ihn unbedingt am Tisch begrüssen, bleibt eine letzte Möglichkeit: BYO. Kennt man vom Wein. Bring your own.