Was ist daran, am Fleisch von alten, von der Pflicht der Milchproduktion befreiten Kühen?
Eine Spurensuche, die vor 15 Jahren im Baskenland begann und mich schlussendlich in einen Ostschweizer Hinterhof führte.
An einem regnerischen Morgen fahre ich nach Staad. Richtig, ohne G. Mit dem noblen Chaletdorf im Berner Oberland hat Staad etwa so viel gemeinsam wie Wladimir Putin mit dem Dalai Lama. Auch Oligarchen-Villen sehe ich keine in dem langgestreckten Ort, eingeklemmt zwischen Bodenseeufer und den bis ins Appenzell hochschwingenden Hügeln. Ich sehe gar keine Villen hier, suche aber auch keine. Sondern den Hinterhof-Metzger. Ob ich den hier finde, frage ich einen Pensionär am Strassenrand. Er nickt wie ein Wackeldackel. Ja, dort um die Ecke. In einem Hinterhof eben.
Ich bin auf der Suche nach alten Kühen. Ausrangiert, ,ausgemilcht’. Nach einigen Jahren Sklavendienst für die Laktose-Industrie wird eine Milchkuh geschreddert, verwurstet, oder als Tierfutter eingedost. Nicht hier im Hinterhof.
Dort erwartet mich Michael Vogt. Ein Kerl von einem Mann. Steht in seinem Instagram-Profil wohl auch der Zusatz He/Er unter seinem Namen? Fragen kann ich ihn nicht, er legt sofort los mit seiner Geschichte, den Knopf meiner Sprachmemo-App drücken, dafür reicht es gerade noch. Und seine Story hat es in sich: Im ersten Leben Offset-Drucker, länger schon ist er sein eigener Chef. Ausbildung zum diplomierten Fleischsommelier, aus Karnivoren-Liebe. Obwohl der Mann nichts zur Veganer-Dichte in dem Kaff am See beiträgt, waren es vor allem Tierwohl-Gründe, die ihn das Metzger-Handwerk erlernen liessen. Aber Vogt ist keiner, der das auf die normale Tour macht. Er verschlang Fleischbücher wie Steaks und umgekehrt. Tiere zuschneiden brachte ihm ein befreundeter Fleischer bei. Klar ist, Quereinsteiger sind oft die erfolgreicheren Berufsleute. Weil die Leidenschaft ihr Tun antreibt, und nicht die schnöde Routine eines regelmässigen Monatslohns.
Alte Kühe. Besser, das Fleisch von ihnen. Eine neue Geschichte für Schweizer Köche und Gourmets, aber anderen Ortes eine Tradition. Wie im Baskenland. Dort werden die mürben und äusserst geschmackreichen Teile von alten Tieren seit jeher geschätzt. Vor zwölf Jahren traf ich in der Nähe von Bilbao den Imanol Jaca. Hinter seinem Label «Txogitxu» baute er eine Metzgerei auf, zu einer Zeit, als sich ausser ein paar baskische Bauern noch niemand für Fleisch von alten, fetten Kühen interessierte. Damals holte ich ihn für ein Tasting nach Zürich, lud befreundete Gastronomen, Food-Schreiber und Globus-Metzger ein. Man war sich einig: Nussige Butter-Aromen im Geschmack, Heu, Rahm, Umami pur. Grandios, ein neues Ess-Erlebnis. Das Aussehen der Steaks polarisierte. Dicke, gelbe Fettränder umsäumte rotbraunes, dick marmoriertes Fleisch. Ich sah schon die pelzbemantelten Goldküsten- und Zürichberg-Schnepfen vor mir, die keine Einkaufszettel schreiben. Wenn Frau nie etwas anderes als Rindsfilet isst, braucht man keine Liste. Die wären in Ohnmacht gefallen, vor der Vitrine. Da musste ich unseren Metzgern klein beigeben, solche Stücke hätte damals niemand gekauft. Ich war zu früh, wie so oft in meinem Foodscout-Leben.
Der Spanier ist mittlerweile zur Industrie geworden, kauft alte Tiere in ganz Europa zusammen. Da kam Vogt im richtigen Moment. Und auch mit seinem leicht anderen Ansatz. Er sourced streng regional, folgt strengsten Qualitätskriterien. «Von hundert angebotenen Tieren kann ich zwei gebrauchen. Da mir das niemals reicht, kaufe ich den Bauern ausrangierte Tiere ab und lasse sie einige Jahre auf dem Hof eines Freundes einen glücklichen Lebensabend verbringen. Dort kriegen sie zu essen, was eine Kuh gerne hat. Gras und Heu, nichts anderes. Betäubt und ausgeblutet wird auf dem Hof, stressige Fahrten zum Schlachthof gibt es bei mir nicht».
Vogt ist Spezialist für Special Cuts. Diese Zuschnitte sind im Filet-Land Schweiz nur Insidern bekannt. Doch sie ermöglichen, dass Vogt etwa die Hälfte des Tieres als Kurzbratstücke verkaufen kann. Was übrig bleibt, wird zu Rindswürsten, Fleischkäse und Hamburgern. No foodwaste in the backyard!
Seine Flanksteaks, Picanhas, Hangingtender, Vegasstrips, Denver Cuts, und wie die besonderen Schnitte alle heissen, lässt Vogt vierzig Tage dry agen, bevor er sie verkauft. Ein weiterer Vorteil: Sie alle sind kinderleicht im Handling. In den 110° C warmen Ofen damit. Sobald die von Vogt empfohlene Kerntemperatur erreicht ist, kurz, aber heftig, rundherum anbraten und noch einige Minuten abstehen lassen.
Auch die Starköche wissen um die secret cuts. Sven Wassmer, der **Koch aus Bad Ragaz, ist öfters im Hinterhof zu Besuch. Er und seine Gäste sind begeistert.
Einfacher und nachhaltiger Steaks essen geht nicht. Und dabei mithelfen, den von der Milchindustrie geschundenen Tieren einen Lebensabend zu verschaffen, der eines (leider so genannten) Nutztieres würdig ist.