Napoleon war schuld. Wer sonst. Nachdem seine halbe Armee auf dem Rückweg vom Russlandfeldzug verhungert war, rief er eine für damalige Verhältnisse obszön hohe Belohnung auf. Nicht für bessere Köche. Sondern für neue Methoden, um Lebensmittel lange haltbar zu machen. 15 Jahre später waren die ersten Patente auf die Konservendose angemeldet. Dumm nur, dass der Dosenöffner erst 50 Jahre später erfunden wurde. Wer bis dahin an Doseninhalte kommen wollte, musste sich mit Hammer und Sichel durch das Metall hauen. Und wer dabei nicht höllisch aufpasste und das Blei, mit dem die Dosen verschlossen wurden, in den Inhalt abbekam, starb an einer Bleivergiftung.
Meine ersten Konservenerfahrungen in der Kindheit waren ebenfalls aufregend. Mein Vater bunkerte im Keller Konserven, die er kaufte, wenn Aktion war. Egal was, Hauptsache reduzierter Preis. Der alte Geizkragen liess niemand an den Vorrat heran, mit abstrusem Vorwand: «Wenn der Russe kommt, sind wir gerettet!» Manchmal stieg ich nachts in den tiefen Keller hinab, und schnappte mir eine Dose mit Fruchtsalat (ja, die mit den gefärbten Kirschen drin, in zuckersüssem Sirup!). Unter der Bettdecke hebelte ich sie mit dem Taschenmesser auf und schlang den Inhalt hinunter. Regelmässig wurde mir schlecht davon. Ebenso regelmässig vergass ich die leeren Dosen unter dem Bett, und da mein Vater Buch über seine Bestände führte, setzte es genauso regelmässig Prügel ab. Dann war da noch das Dosenravioli-Jahrzent in unserer Jugendzeit. Auch das ging nicht schmerzfrei an mir und den Geschwistern vorbei. Es gab immer Kampf um jede einzelne Teigtasche. Im Rückblick nicht wirklich ein kulinarischen Ruhmesblatt zum vorzeigen.
Doch nicht nur Billigfood wird eingedost. In den Ländern mit Meeranstoss war die Konservierung des Fischfangs Notwendigkeit. Viele Meeresbewohner sind nur kurze Zeit im Jahr fangbar, aus Quotengründen oder weil sie nur an gewissen Zeiten auftauchen. Da kam die Konserve wie gerufen, für die rasche Verarbeitung und Lagerung. Durch die hermetische Abdichtung und die Pasteurisierung mit hohen Temperaturen, müssen die meisten Konserven nicht gekühlt werden. Da fand dann auch wertvolles und rares Getier den Weg unter den Metalldeckel oder ins Glas. In Frankreich vor allem Sardinen (ganz luxuriöse sogar mit Jahrgang, wie ein Wein). Die Skandinavier sind vor allem für ihre Heringkonserven berühmt, oder auch berüchtigt. Schon mal etwas von Surströmming gehört? Das ist Hering aus Schweden, er wird nach einer ersten Gärungs- und Fermentierungsphase in Dosen geschweisst, wo es fidel weitergeht mit chemischen Vorgängen. Nicht wenige Dosen blähen sich dann auf. Der Geschmack des Inhaltes wird während dieser «Reifung» aber nicht unbedingt mehrheitsfähiger: Schwefelwasserstoffe, die dem eingedosten Fisch seinen charakteristischen Geruch (Gestank) verleihen, nehmen überhand. Ich hatte mir auf einer Scouting-Reise ernsthaft überlegt, solche Dosen in die schwedischen Wochen im Globus zu integrieren, da ist ja Authentizität gefragt! Doch hörte ich auch Geschichten von Dosen, die unter dem enormen Druck explodieren. Der Gedanke über pelztragende Goldküsten-Kundinnen, die mit 800 Franken teuren Charles-Aellen-Frisuren vor dem Regal stehen, und die Dose geht genau dann hoch, entbehrt zwar nicht einer gewissen Ironie (und Häme). Aber irgendwie hing ich damals noch an meinem Job.
Die Konserven-Könige sind für mich die Spanier. Was in den nordspanischen Provinzen Galicien, Kantabrien und im Baskenland eingedost wird, ist schlicht Weltklasse. Ich habe dort Manufakturen besucht, da wähnt man sich bei Uhrenherstellern. Da sitzen (zumeist) Frauen an glattpolierten Tischen und hantieren mit Pinzette und Lupe, um sich auch noch die kleinste Anomalie an einem Sardellenfilet nicht entgehen zu lassen. Und wie sie die zarten Fischlein, Muscheln, Pulpo oder noch exotischere Tierchen, Stück für Stück in Dosen schichten und bestes Olivenöl oder andere Würze darüber verteilen, ist für jede Industrie-Food geschädigte Seele eine Riesenerleichterung. Und Hoffnung ebenso. Für mich sind solche Erlebnisse die Bestätigung, am richtigen Ort zu sein.
Natürlich, solche Preziosen haben ihren Preis. Die Sicht auf derlei haltbar gemachtes hat sich aber verändert. Immer mehr Liebhaber sind bereit, die teilweise stolzen Preise für hochwertige Fischkonserven zu bezahlen. In Michelin-besternten Lokalen werden geöffnete Dosen gar dem Gast hingestellt, anstatt eines kompliziert kuratierten Tellergerichtes. Aus der Erkenntnis heraus, dass diese Meeresfrüchte aus gewissen Manufakturen auch mit grossem Kochkönnen nicht besser werden.
Auch im Retail finden sich immer mehr spezialisierte Händler, die auf hochwertige Fischkonserven setzen. Jelmoli und Globus bieten schon länger breite Sortimente an, auch Jahrgangs-Sardinen finden sich dort. Die Gamper-Crew im Kreis 4 hat kürzlich einen Feinkostladen eröffnet, namens Lagotto, mit grosser Auswahl an Eingedostem. Die Finger lassen sollte man von Sardellen, die ungekühlt im Regal stehen. Deklariert sind sie als Halbkonserven, zu lagern nicht über etwa 12°C. Da die Grossverteiler (zurecht) fürchten, die Kunden finden diese Produkte im Kühlregal nicht, werden sie bei Raumtemperatur verkauft. Das kann auf die Gesundheit negative Auswirkungen haben. Sowieso schmecken Sardellen aus Kantabrien oder Italien viel besser als billige Ware aus Nordafrika oder Indien. Es geht doch nichts über ein getoastetes Weissbrot, dick mit Butter bestrichen und mit exzellenten Sardellen belegt!
Hier aber noch ein Rezept für einen Toast aux sardines, wie ich ihn kürzlich in Kapstadt vorgesetzt bekam.
Zutaten
1 Scheibe Sauerteigbrot, getoastet
1 Dose kleine Sardinen in Olivenöl
6 Datterini-Tomaten, im Ofen geschmort
2 kleine, rohe Tomaten
Gemüsepickles
Selbstgemachte Mayo
Olivenöl extra vergine
Erbsensprossen, Prezzemolo (wer mag, frischer Koriander)
Mildes Chilipulver, Salz Pfeffer
Den noch warmen Toast dekorativ mit den Zutaten belegen und kräftig abschmecken.
Dazu passt ein Palomino, ein Verdejo oder ein Fino Sherry.