Es lebe die Diversität! Diversität ist gerade sehr en vogue. Betrachten wir die Queer-Szene. In unserer – glücklicherweise – immer liberaleren Welt outen sich immer öfters Menschen, die sich mit der gängigen Heteronormativität nicht mehr identifizieren können. Ihnen gab die Natur Begehren und Wünsche mit, die über die Vorstellungen der Bibel, was Mann und Frau gefälligst miteinander anstellen sollen, hinausgehen. Was es da nicht alles gibt! Neben den Jüngern von Chem Sex, Rimming, BDSM, von Fruit- zu Fingerfuck, Scissoring, Strap-on Sex, Fisting – nicht zu vergessen die Glücklichen, die nur im Tiefsee-Taucheranzug zum Höhepunkt kommen und das auch nur, wenn ihnen jemand dabei die Atemluft abdreht. Natürlich auch die unzähligen Kombinationen solcher Vorlieben, dazu lässt sich zu all den durchaus interessanten Spielarten auch Beiläufiges – wie zum Beispiel eine Burka tragen – kombinieren. Toll und erfrischend, diese Vielfalt. Da kommt sich Mann mit der eigenen Dildo-Kollektion geradezu als spröder Normalo vor.
Wenden wir uns Diversität ganz anderer Art zu. Eine, die unter dem Diktat von Produzenten, dem Handel und den Chemie-Giganten besonders leidet. Woran denken Sie beim Wort Zitrone? Richtig, eine gelb-grüne Frucht. Die Temperaturunterschiede sind verantwortlich für die Farbe, je heisser das Wetter, je grüner die Frucht. Die Zitrone ist sauer wie die Hölle, meistens zu hart und voller Kerne, die uns ärgern. Nicht, dass wir den sauren Saft missen wollen, er ist die ideale Zutat beim Kochen, um feurige Schärfe oder überschiessende Süsse im Zaum zu halten. Aber 1500 Sorten bekannter Zitrusfrüchte stehen einer kümmerlichen Anzahl angebotener Varietäten gegenüber, einigen Orangensorten, Mandarinen, Pomelos und eben Zitronen. In Spezialitätenläden finden sich mit Glück Meyer-Lemons, Bergamotte, Cedri- und Buddhas Hand-Zitronen, manchmal Yuzus. Normale Zitronen teile ich in zwei Angebote ein, von denen nur das eine zu empfehlen ist: Bio-Zitronen. Konventionelle sind vergiftet, vollgepumpt mit Pestiziden, die sich selbst mit Schrubben nicht abwaschen lassen. Darum: Hände weg. Unserem Unwissen ist geschuldet, dass wir Zitronen so hinnehmen, wie sie uns verkauft werden. Schon immer. Irgendwie gedankenlos. Denn sie wären essbar wie Äpfel. Nur, warum beissen wir da nicht zu? Diese Erfahrung ist nicht so leicht zu kriegen. Erstmal müssten wir einen Zitronenbauer finden, der die gelben Kugeln am Baum hängen lässt, bis sie wirklich reif sind. Schwierig. In diesem Zustand überleben sie gerade einen Tag, denn einmal geerntet, verfaulen sie. Sie sind dann weich wie überreife Aprikosen, ihre Säure tritt in den Hintergrund, das Zitronenaroma explodiert im Mund in einer Harmonie und Reife, die seinesgleichen sucht. Fruchtzuckerfrei, denn sie können diesen gar nicht erst entwickeln, doch ihr komplexer, überreifer Geschmack gaukelt unserer Zunge sogar den Zucker vor. Zitrusfrüchte gehören zu den nicht-klimakterischen Pflanzenarten, sie können, einmal geerntet, nicht nachreifen.
Vor 25 Jahren entdeckte ich auf einer Scoutingreise in Kalifornien die hocharomatische Meyer Zitrone. Sie wurde Anfang 20. Jahrhunderts vom amerikanischen Pflanzenforscher Frank Meyer in China erstmals beschrieben, man nimmt an, es handelt sich dabei um eine auf natürliche Weise entstandene Kreuzung zwischen Zitrone und Mandarine. In Kalifornien und Florida wird sie seither kultiviert. Sie ist dünnschalig, weich und wird sehr spät geerntet. Die damaligen Warnungen des Produzenten, dass die empfindlichen Früchte die Reise in die Schweiz nicht überstehen würden, schlug ich in den Wind und orderte für eine Globus-Promotion einen halben Container voll. Die Ladung wanderte hier direkt in den Abfall, die Aktion kostete mich damals meinen Bonus. Immerhin, ich hatte dazugelernt.
Mittlerweile gibt es Meyer-Züchter in der Schweiz und in Kärnten. Diese lassen die Früchte zwar auch nicht ganz am Baum ausreifen, trotzdem bieten sie ein süsseres und aromatischeres Geschmacksprofil als normale Zitronen. Rätselhaft, wie stiefmütterlich Zitrusfrüchte vom Handel angeboten werden. Wird schon die Apfelvielfalt oft bemängelt, müsste der Aufschrei bei den Zitronen noch viel lauter sein, gibt es von diesen doch ein Mehrfaches des Apfelsortimentes. Die Geschmacksunterschiede der einzelnen Sorten sind dabei oft noch stärker ausgeprägt als zwischen Apfelsorten, aber eben, nur wenn die Zitronen reif sind. Viel zu früh geerntet, schmecken sie alle gleich. Sicher, die Logistik wird aufwendiger und teurer, aber wo, wenn nicht in der Schweiz, wird gerne für mehr Vielfalt und Geschmack bezahlt? Kein Tag vergeht in einer Küche, an dem nicht Zitronen in jeglicher Form zum Einsatz kommen. Meistens nur die Haut, darin lagern die ätherischen Öle, voller Zitrusgeschmack, ohne Säure. Gerieben über fast alles, zaubern sie mediterrane Frische in den Teller. Oder konserviert in Salz, ein monumentales Gewürz, das jedes Brathuhn und Gemüse, jeden Fisch oder Reis veredelt und ihnen eine unnachahmliche Note verleiht.
Das geht so: 1.5 Kilo Bio-Zitronen waschen, kreuzweise der Länge nach zu ¾ einschneiden, so dass sie unten noch zusammenhalten. Die angeschnittenen Teile der Zitronen leicht auseinanderziehen und die Mitte grosszügig mit Salz füllen, alles andrücken und die gefüllten Zitronen lagenweise so dicht wie möglich in ein 2 Liter-Einmachglas einfüllen. Jede Lage mit Salz und Koriandersamen bestreuen. Lorbeerblätter und Zimtstängel zwischen Zitronen und Glaswand hinunterschieben. 100 Gramm Honig in 250 Gramm Zitronensaft und 100 Gramm warmem Wasser auflösen und das Einmachglas bis zum Rand füllen. Die Zitronen müssen vollständig mit Salz bedeckt sein. Das Glas fest verschliessen und an einem dunklen Ort für mindestens vier Wochen ruhen lassen. Gebraucht wird später jeweils nur die Schale, das Fruchtfleisch weggeschabt, wird sie fein gehackt als Würze verwendet.
Wer sich nun den Traum vom eigenen Zitronenbaum erfüllen möchte, lässt die Finger von den Angeboten im Baumarkt. Zu belastet mit Chemie, ausser sie sind explizit als Bio deklariert. In Kärnten züchtet Zitronenbauer Michael Ceron in seinem https://www.zitrusgarten.at/ mehr als 300 Sorten, alles Bio-Bäume und teilweise bis hundert Jahre alt. Die können dann bis 30’000 Euro kosten. Bevor Sie dort zuschlagen, Zitruspflanzen verbindet mit dem Winter eine Hassliebe. Leichter Frost gibt ihren Früchten einen extra Geschmackskick (Blutorangen werden erst rot durch mehrere Frostnächte), zu tiefe Minusgrade überleben die Bäume aber nicht. Im Tessin verkaufen die Gärtnerei Eisenhut sowie www.nielsrodin.com eine grosse Auswahl von Zitrus-Bäumen.