Mit Kaviar, Hummer und Foie gras bringt jeder Depp am Herd etwas Anständiges zustande. Auf diesen vermeintlichen Luxus verzichten, ist heute der wahre.
Luxus. Kaum ein Begriff dividiert die Menschheit dermassen auseinander, wie der Inbegriff von Dingen, Erlebnissen, Dienstleistungen und Gedanken, wie diese Umschreibung für alles, was keiner wirklich braucht. Die eine Hälfte der Weltbevölkerung kennt das Wort und was es bedeutet, nicht einmal, der allergrösste Teil der anderen Hälfte träumt nur davon und nur eine verschwindend kleine Fraktion leistet sich ihn. Nicht, dass fast niemand davon gefeit wäre, nach Höherem oder Besserem zu streben. Tatsächlich unterscheiden sich die Sichtweisen, was Luxus bedeutet, gewaltig. Die soziale Stellung ist zweifellos der wichtigste Treiber, aber auch Herkunft und Staatenzugehörigkeit. Dass es die einfachsten Bedürfnisse waren, deren (vermeintliche und echte) Steigerung als Luxus nachgefragt wurde, legt die lateinische Herkunft und Bedeutung des Begriffes selbst, offen. Luccus bedeutete – zumindest will es uns Wikipedia weismachen – „üppige Fruchtbarkeit, überflüssiger Aufwand, Schlemmerei“. Es waren demnach Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz, die, war der Hunger einmal befriedigt, Lust auf mehr und besseres weckten. Und somit beruhte das Urstreben danach klar auf extrinsischen Einflüssen nach Prestige, Distinktion und sozialer Zugehörigkeit. Das einfachste und allseits bekannte Beispiel gefällig? Im jahrtausendealten Wunsch, überhaupt – und immer mehr – Fleisch zu essen, erkannten sich alle Menschen quer durch Kontinente, Zeitalter und soziale Schichten wieder. Wenige Ausnahmen entwickelten sich innerhalb einiger Glaubensgemeinschaften, doch der bewusste Verzicht auf Fleisch war früher nie gesundheitlichen oder moralischen Gründen geschuldet, das ist sich mittlerweile – wenn auch sehr zaghaft – am Ändern.
Ich selbst durchlebte bisher fast sämtliche Bandbreiten dieser Entwicklung, natürlich nicht über Jahrhunderte hinweg, sondern kulinarisch zeitgerafft. Was mich damals als Dreikäsehoch an den Mittagstisch zwang, war profaner Hunger. Egal, was es gab. Fleisch jedenfalls nicht, unter der Woche. Die Aussicht auf das tägliche Schnitzel oder Kotelett war mir fremd, ich wusste schlicht nicht, was meine Schulfreunde assen. Ich wurde nie eingeladen, bei anderen Kids. Weil auch ich nie jemanden fragte, da ich mich schämte für unser einfaches Zuhause, die Knödel und Krapfen meiner österreichischen Mama und die Stille am Esstisch (wir durften da nicht sprechen). Kulinarischer Höhepunkt der Woche war der Sonntag. Dann gabs ein Huhn. Als die Familie wuchs, sogar zwei. DER Sonntagsbraten schlechthin. Wir alle freuten uns die ganze Woche darauf, natürlich mit handgeschnittenen Pommes Frites dazu.
Heute kaufen die gestressten Hausfrauen/männer oft nur die Hühnerbrust, vorgeschnitten, vorgedämpft oder vorgeschnetzelt. Und der Rest des Vogels wird nach Afrika exportiert, als kulinarische Entwicklungshilfe, für die Gewissenslinderung. So ändern sich die Meinungen darüber, was denn das Luxuriöse beim Essen ausmacht.
Fisch gab es dann, wenn mir Göttin Diana wohl gesinnt war. Die Eulach, unser Dorfbach, war mit Forellen reich bestückt, und hatte mich das Jagdfieber gepackt, schwänzte ich sogar die Schule, um meinen Anteil an der Proteinversorgung für die Familie beizutragen. Ich fing die Fische mit der Hand. Damals, als Zehnjährigr, hatte ich diese Fangmethode schon perfektioniert, immer auf der Hut vor dem Dorfpolizisten. Heute steige ich nur noch zu Demozwecken in das Bächlein, meine Enkel finden das grossartig. Aber nur wenn ich die Forellen wieder entschlüpfen lasse, nach dem Zugriff. Ein besonderer Luxus, der Empathie der Kids geschuldet.
Was ich damals nicht vermisste, führte später zu keinem Fleisch-Exzess, trotz pekuniärem Fortschritt. Was macht denn das Luxuriöse aus, in der Ernährung? Ab wann wird ein Produkt so gut, so nachgefragt, so schmackhaft, so speziell, so unwiderstehlich, dass es sich mit dem Begriff essbarer Luxus schmücken darf? Muss es exorbitant teuer sein, nur für die wenige verfügbar oder frisch vom Baum? Oder aufwändig produziert, biologisch zertifiziert, verführerisch verpackt, luxuriös präsentiert?
Eine schlüssige Antwort darauf gibt es nicht. Als Foodscout für die delicatessa Globus – ein menschliches Trüffelschwein, das in die Welt hinausgeschickt wurde, um mit den aufgespürten, kulinarischen Preziosen den verwöhnten Gaumen der Wohlverdienenden zu kitzeln – beschäftigte mich diese Frage 30 Jahre lang jeden Tag. Für die einen ist es Hummer Thermidor, für den anderen ofenfrisches Brot. Hinzu kommen wechselnde Essgewohnheiten. Ein berühmtes Beispiel dafür ist der Lachs im Rhein, der im 18. Jahrhundert in Basel sogar dem Dienstpersonal Überdruss bereitete, weil er zu oft in ihren Tellern landete. In den 70er Jahren trieb Mövenpick dem Lachs mittels Räucherns seinen tranigen Fischgeschmack aus und machte ihn – zuerst bei den Reichen – wieder salonfähig. Mittlerweile verkauft jeder Discounter die ehemalige Delikatesse und bedient damit die Luxus-Urbedürfnisse der kleinen Frau (und Mannes), als essbares Louis Vuitton Täschchen.
Das jahrzehntelange Sourcen – und natürlich auch ständig probieren – von (vermeintlichen) Luxusprodukten veränderte meinen Blick darauf nachhaltig, und in eine ganz andere Richtung. Es macht einen Unterschied, ob man liest, oder hört, oder eben sieht, wie Gänse und Enten leiden müssen, bis ihre Leber dermassen anschwillt, dass sie die anderen Organe im Körper langsam zerdrückt. Es macht einen (den entscheidenden) Unterschied, wenn Du selbst zuhörst, wie lange der Hummer – an der Pfannenwand kratzend – sich dem quälend langsamen, aber sicheren Verbrühungstod im kochenden Wasser entgegenstemmt. Und das soll Luxus bedeuten?
Selbst war ich zu lange solchen Dingen auch zugetan. Insbesondere am Anfang meiner kulinarischen Lehrzeit. Ob meine ärmliche Kindheit dafür verantwortlich war, auszukosten, sobald ich es mir irgendwann leisten konnte? Darüber möchte ich gar nicht nachdenken. Kaum verdiente ich mein eigenes Geld, investierte ich jeden übrigen Rappen in grosse Menüs und Weine. Ich machte Jagd auf Exklusives, Teures, ob es nun schwamm, flog oder lief, war egal. Ich dinierte in schweizer und französischen Gourmettempeln. Kochte mich durch Wälzer von Bocuse bis Kaltenbach. Brätelte daheim Gänseleber, dämpfte Froschschenkel. Grillierte teuerste Rindsfilets, erschnorrte mir Kaviar. Flirtete die dreimal ältere Denner Kassiererin schwindlig, sie verriet mir dann Ankunft und Angebot der jeweils neuen Bordeaux-Jahrgänge. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil beim Kampf um die besten Flaschen.
Ja, ich schaffte es im eigenen Leben auch nicht immer, die Klippen der anspruchsvollen Kulinarik elegant und ohne Kratzer zu umschiffen. Aber irgendwann sollte jeder realisieren, dass zwischen Sünden und Verbrechen Unterschiede herrschen. Und die künstlich vergrösserte Leber von gestopften Enten und Gänsen, beziehungsweise das Zubereiten und Essen dieser vermeintlichen Luxus-Produkte, das sind Verbrechen. Ja, sie schmeckt auch mir gut, die Foie gras. Sie passt zu fast allem, zu Salzigem wie zu Süssem, aber auch ganz für sich allein. Sie schmilzt wie Eiswürfel im Mund, der extrem hohe Fettgehalt lässt die entsprechenden Rezeptoren auf der Zunge tanzen vor Freude. Aber nur wenn man ihre Produktion ausblenden wird. Sie ist das pervertierte Aushängeschild von gastronomischer Ausschweifung. Für nur wenige aufgrund des hohen Preises oder seltenem Antreffen überhaupt erreichbar und bestimmt gerade darum Objekt der Begierde. Und sie ist es noch immer. Leider.
Ich verbarg meine Lust darauf auch hinter beruflichen Gründen. Irgendwann war aber Schluss bei mir. Und es geht sehr gut ohne, liebe Köche in der Schweiz. Ihr versteckt euch hinter Kundenbedürfnissen und der Angst, Gäste zu verlieren. Dass die grossen gastronomischen Guides wie Gault Millau und Michelin hier nicht mehr Einfluss nehmen, ist eine Schande. Dass es anders geht, zeigen seit einigen Jahren junge, kreative Köpfe hinter dem Herd. Köche, denen die Ethik mehr bedeutet als der Applaus von vermeintlichen Gourmets. Sie zelebrieren Luxus auf eine neue Art und Weise. Wobei, so neu ist es nicht, aus Lebensmittel des täglichen Bedarfs Gericht zu zaubern, die in die kulinarischen Analen eingehen. Hören wir den Namen Joel Robuchon, denken wir an seinen grandiosen Kartoffelstock. Der katalanische Jahrhundertkoch Ferran Adria hat durch seine Oliven-Sphären Unsterblichkeit erlangt. Auguste Escoffier, der grosse Schöpfer der anspruchsvollen, modernen Kochkunst, gewann mit seinem Pfirsich Melba die Herzen (und Mägen) der feinen Gesellschaft. Alles Produkte, die fernab jeglichen, vermeintlichen Luxus-Verständnis rangieren.
Bei Köchen wie Dominik Hartmann (Magdalena, 2**), Nenad Mlinarevic (Neue Taverne, 1*) oder Vilson Krasnic (elmira, 1*) sind Gäste mit vorgestrigen Luxus-Erwartungen an der falschen Adresse. Was diese Jungs aus Gemüse, Kräutern, Getreide und Pilzen mittels neuer (alter) Techniken wie Fermentieren, Trocknen, oder Rösten (oft mit Hilfe richtigen Feuers) auf die Teller zaubern, lässt jeden Gedanken an Fleisch oder Fisch gar nicht erst entstehen.
Ich sprach mit dem Elmira Küchenchef:
Wie geht ihr mit dem Thema Luxus um?
«Die Küche des «elmira» basiert auf einer tiefen Wertschätzung für die vermeintlich «einfachen Dinge». Für uns bedeutet «einfach» nicht unbedingt das Alltägliche oder Gewöhnliche. Im Gegenteil, es ist eine Herausforderung und Kunst, Produkte des täglichen Bedarfs in etwas Aussergewöhnliches zu verwandeln. Während es einfach ist, mit Luxusprodukten wie Kaviar oder Fois Gras zu beeindrucken, streben wir danach, gewöhnliche Zutaten in unerwartete kulinarische Gerichte zu verwandeln. Ein perfektes Beispiel dafür ist unser Lauch, den wir verkohlen, um ihm eine faszinierende Textur zu verleihen, die der von Spargel ähnelt. Es mag zwar ein bescheidenes Gemüse sein, aber in Kombination mit unseren Saucen und Jus wird es zu einem unvergesslichen Signature-Dish. Wir setzen konsequent auf saisonale und regionale Produkte und suchen ständig nach kreativen Wegen, diese Zutaten über ihre gewöhnliche Nutzung hinaus zu veredeln. Das Einlegen und Fermentieren ist ein wichtiger Bestandteil unserer Küchenphilosophie, nicht nur, um Abwechslung zu bieten, sondern auch, um unseren Gerichten einen einzigartigen Twist zu verleihen».
Was ist für euch Luxus?
«Für uns im «elmira» definiert sich Luxus nicht über materielle Luxusgüter oder konventionelle Standards. Es geht weit über das hinaus, was man sieht oder berührt. Luxus ist für uns ein Zustand, ein Gefühl und vor allem eine Haltung. Ein weiss gedeckter Tisch und eine steife Bedienung entsprechen nicht unserem Luxusverständnis. Stattdessen setzen wir auf Herzlichkeit, Respekt und das ständige Streben, unsere Gäste zu überraschen und ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Insgesamt betrachten wir Luxus im «elmira» als etwas Immaterielles, das sich in der Art und Weise zeigt, wie wir uns um unsere Gäste kümmern, sie überraschen und echte Emotionen hervorrufen.»
Wie reagieren die Gäste auf eure Zutaten?
«Die Reaktionen unserer Gäste auf unsere Zutaten und Gerichte sind vielfältig und oft von Überraschung und Bewunderung geprägt. Einige Zutaten, die in ihrer herkömmlichen Form eher unspektakulär wirken mögen, wie Aubergine und Lauch, haben durch unsere besondere Zubereitung und Präsentation zu emotionalen Momenten geführt. Besonders die Aubergine und unser Lauch-Gericht haben durch ihre unerwartete Textur zahlreiche Komplimente erhalten.
Es ist für uns immer wieder faszinierend zu beobachten, wie das harmonische Zusammenspiel von vermeintlich einfachen Zutaten einzigartige Geschmackserlebnisse kreiert, die in den Köpfen unserer Gäste verankert bleiben.
Unsere Gäste schätzen auch die Gelegenheit, direkt von den Köchen zu erfahren, wie die einzelnen Gerichte zubereitet werden. Diese Interaktionen führen oft zu kritischen und interessierten Fragen, die wir stets mit Freude und Fachwissen beantworten».
Das Verständnis, was Luxus für den Einzelnen bedeutet, ist einem stetigen Wandel unterworfen. Den Moralfinger erheben, dort wo es nach eigenem Verständnis (und sehr offensichtlich), liegt mir fern. Das war nicht immer so. Vor Jahren an einem 24. Dezember, wenn alle aus dem Head Office jeweils an der Globus Verkaufsfront aushelfen, war ich am Kunden beraten, in der delicatessa. Eine aggressive Pelzträgerin, Typ Zürichberg-Schnepfe, herrschte mich an, warum nicht mehr Spargel erhältlich war. In ihrem Korb lagen bereits 3 Packungen. Ich blieb freundlich, aber bestimmt. «Gute Frau», sagte ich, «an Weihnachten ist es einzig Peruanern erlaubt, Spargel zu essen. Und zwar in Peru. Weil der jetzt dort geerntet wird». Ich nahm ihr den Spargel aus dem Korb und legte einen grossen Bund Grünkohl hinein. «Menüänderung ist angesagt, meine Liebe»! Sie hörte erst auf zu schreien, als der Geschäftsführer gerannt kam. Sie musste mit viel Champagner und einem Gratiseinkauf beruhigt werden. Mein Job hing an einem seidenen Faden, damals.
Luxus heisst auch, den eigenen Grundsätzen treu zu bleiben.