Im Champagner-Himmel
«Ich trinke Champagner, wenn ich verliebt bin. Und ich trinke ihn, wenn ich es nicht bin». Coco Chanel’s legendäre Worte über den Wein der Könige, Kaiser und Mätressen stiegen in mir hoch wie die feinen Gasperlen im Glas vor mir. Der denkwürdige Moment hat sich unauslöschlich in mein kulinarisches Gedächtnis eingebrannt, er markierte einen Wendepunkt in meinen oehnophilenVorlieben. Ende der achtziger Jahre war es, der Ort: Chateau les Crayères, etwas ausserhalb von Reims, in einem riesigen Park gelegen, der Koch hiess Gerard Boyer, 3 Michelin Sterne, ich war im Himmel.
Was ich trank? Natürlich Champagner, Salon 1982, ein sagenumwobener Wein aus einem grossen Jahrgang, fast nicht zu finden auf dem Markt, kleinste Produktion, ein dafür-verkaufe-ich-meine-Grossmutter-Wein.
Süchtig fürs Leben
Was ich damals nicht realisierte? Ich war angefixt. Weg vom Mainstream-Geschmack der grossen Handelshäuser wie Moet, Perrier-Jouet, Taittinger & Co (négociant-manipulant, NM) deren Ausstoss 90% von sagenhaften 350 Millionen Flaschen der totalen Champagnerherstellung jährlich erreicht. Und die es trotz ihrer industriellen Produktion schaffen, Jahr für Jahr konstante hohe Qualität zu liefern, uniform zwar, doch dem Stil des Hauses verpflichtet. Möglich ist das nur, weil diese Hersteller quer durch das gesamte Anbaugebiet der Champagne Trauben aufkaufen und in ihren riesigen Kellern die Weine so lange miteinander verschneiden – notabene aus mehreren Jahrgängen – bis es eben nach Moet oder Veuve Cliquot schmeckt. Doch die Musik, wie so oft, sie spielt bei den kleinen, artisanalenProduzenten, Winzer, die ihre eigenen Weinberge bearbeiten, keine Trauben kaufen, sondern dasverarbeiten, was sie auf ihrem eigenen Land selber anbauen und ernten. Diese Récoltant-Manipulant – RM – genannten Winzer haben der Champagne die grösste Revolution der letzten 30 Jahre in Frankreichs Weingebieten beschert. Anfänglich belächelt für ihre individuellen Methoden und Stilrichtungen – oft mit bio-dynamischen Massnahmen im Rebberg erreicht – werden ihnen heute ihre Weine aus den Händen gerissen, die Kenner schätzen die Terroir– oder auch Winzer-Champagner, mit Geschmacksprofilen, die nur in den jeweiligen Rebbergen und Jahrgängen und nach dem Gusto des Winzers entstehen und explizit gewünscht sind.
Die Allmacht der grossen Häuser, sie gründet auch auf Mythen, deren Hochhaltung sich die Marketingabteilungen viel kosten lassen. Es lohnt sich, sie zu hinterfragen, um das Phänomen dieses so geschätzten und gefragten Luxusgutes besser zu verstehen.
Der Witwen-Macher
Die edlen Witwen der Champagne. Veuve Cliquot ist wohl die legendärste, nach dem frühen Tod ihres Gemahls führte sie die Firma zu weltweitem Ruhm und Reichtum. Nun, der frühe Tod vieler Winzer hat den wenigsten hinterbliebenen Ehefrauen Glück gebracht. Die meisten ihrer Geschäfte wurden – und werden – von grösseren Häusern übernommen. Der Grund für die hohe Sterblichkeit ist ein banaler: Die Champagne ist eines der am nördlichsten gelegenen Weinbaugebiete der Welt, mit oft kalt-feuchter Witterung. Da war schon immer alles recht, um der grossen Nachfrage wegen die Erträge auf Teufel komm raus hochzuhalten, und der Natur mit Hilfe von gewaltigen, chemischen Keulen in den Rebbergen nachzuhelfen. Offensichtlich zu gewaltig für nicht wenige Rebbauern.
Der Mönch war es nicht
Im Namen des Vaters: Dom Perignon , der Vater des Champagners. Ein blinder Mönch, der zufällig die Methode der Flaschengärung entdeckt, die normalen Wein zu Bubbly machte. Rührend die Story, aber falsch. Sein Augenlicht war völlig intakt, und höchstwahrscheinlich hat er gar nie schäumenden Wein gekeltert, nicht einmal zufällig. Als Kellermeister des Klosters Saint-Pierre d’Hautvillers Ende des 17. Jahrhunderts produzierte er wie alle anderen in der Gegend normale Weissweine, verkauft wurden sie fassweise, also konnten sie gar nicht mousseux sein.
Die Champagne ist der Geburtsort des Schaumweines. War sie nicht. Es ist belegt, dass im Süd-Westen Frankreichs, in Limoux, schon 1531, also 150 Jahre früher, Schaumwein gekeltert wurde, bevor er das erste Mal in der Champagne erwähnt wird. Zwar nicht mittels der méthode traditionelle, der zweiten Gärung in der Flasche, sondern mit Hilfe der méthode ancestrale. Bei dieser wird der Wein vor der Flaschenfüllung nicht fertig gegärt, die Hefen beenden dann ihre Arbeit in der verschlossenen Flasche, was auch zu Schaumwein führt. Doch nicht einmal die tradizionelle Methode, auch méthode champenoise genannt, können die Champagner-Winzer auf ihre Fahnen schreiben! Es waren die Erzfeinde in England, die im 17. Jahrhundert auf den Geschmack des schäumenden Ciderskamen und dafür die zweite Gärung in der Flasche erfanden.
Das Märchen vom Löffel und der Kohlensäure
Ein Silberlöffel im Flaschenhals hält Champagner perlend. Was für ein Mist. Unzählige Studien fanden keinen Zusammenhang. Es ist so simpel. Bleibt die Flasche offen, ist die Kohlensäure rasch weg. Der Inhalt bleibt aber bis zu 2 Tage perfekt frisch, wird die Flasche mit einem speziellen Klemmverschluss verschlossen im Kühlschrank aufbewahrt.
Sternenstaub
Die Kohlensäure perlt im Glas aufgrund von winzigen Unregelmässigkeiten in der Glasinnenwand. Es gibt sogar Gläser, die eine kleine Markierung zuunterst eingearbeitet haben, um die Bildung der Kohlensäureketten zu ermöglichen. Alles Humbug. Mikroskopische Untersuchungen zeigen, dass CO2 an winzigen, röhrenförmigen Staubpartikeln andockt und die darin enthaltenen, kleinsten Mengen Luft verdrängt und quasi aus den Partikeln zwingt. Diese aufsteigende Luft ist es, was wir zu Gesicht bekommen. Diese Staubpartikel gehören mit zu den ältesten Bausteinen der Erdgeschichte, intergalaktisch sozusagen, Sternenstaub. Zu schön hätte dieser Umstand zum mythischen Aufschrei des Mönchs Dom Perignon an seine Mitbrüder ‘Kommt rasch, ich trinke die Sterne’ gepasst, der dem frommen Mann in den Mund gelegt wurde, nach seiner angeblichen Erfindung der Flaschengärung. Doch diese wunderbare Umschreibung für die Gasperlen im Wein erschienen erst 100 Jahre nach seinem Tod, in einer Werbebotschaft. Er hat diese – what a shame – nie ausgesprochen.
Meine grossen Favoriten der kleinen Häuser
Emile Brochet
Egly-Ouriet
Vouette & Sorbee
Beaufort
Jacques Selosse
La Closerie
Dhondt-Grellet
Ulysse Colin
Salon le Mesnil
Lasalle